Die Epoche der Frühen Neuzeit wird mit dem ausgehenden 15. Jahrhundert und bis zur Französischen Revolution festgesetzt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wie bei allen Periodisierungen in der Geschichtswissenschaft auch hier keine exakt datierbaren Epochengrenzen gezogen werden können: Je nach Land oder Region und Fachwissenschaft werden andere Eckdaten genommen. Humanismus und Renaissance, die Entwicklung des Buchdrucks, die Eroberung Konstantinopels und die europäische Expansion gelten als bahnbrechende Begebenheiten, die einen Epochenumbruch rechtfertigen. Die Erfahrungen der Menschen in dieser Zeit und in unserer Region wurden geprägt durch die Reformation und die damit zusammenhängende Ausdifferenzierung der Konfessionen, durch politische und religiöse Konflikte zwischen den europäischen Mächten, wie beispielsweise die Bauernkriege, der Kölner Krieg, der niederländische Unabhängigkeitskrieg und der Dreißigjährige Krieg. Das Ende des Zeitraums geht einher mit der Aufklärung und den Auswirkungen der Französischen Revolution, die schließlich in Deutschland 1806 zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation durch Napoleon führte.
Das heutige Ruhrgebiet gehörte in der Frühen Neuzeit nicht zu den zentralen Schauplätzen des Weltgeschehens. Dennoch war die Region von vielen damit zusammenhängenden Ereignissen unmittelbar betroffen. Sie unterstand auch in der Frühen Neuzeit nicht einer Obrigkeit, sondern war verschiedenen Herrschaften und Territorien zugeordnet. Die wichtigsten Landesherrschaften zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren die Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg, die Grafschaften Mark und Ravensburg und die Herrschaft Ravenstein. Das Vest Recklinghausen und das Herzogtum Westfalen unterstanden politisch dem Kurfürstentum Köln. Die Stadt Dortmund war freie Reichsstadt. Das Kloster Werden und das Frauenstift Essen waren reichsunmittelbare geistliche Territorien, unter deren Herrschaft z.B. die Stadt Essen stand. Aufgrund dieser politischen Konstellation ist die Forschungsliteratur verstreut innerhalb der rheinischen und westfälischen Publikationen zu finden. Aufsätze werden in den Fachzeitschriften der verschiedenen historischen Vereine dieser Region veröffentlicht.
Gut erforscht sind das Frauenstift in Essen1 und der Themenkomplex Hexen. Des Weiteren liegt zu einer Reihe von Frauenklöstern grundlegende Literatur vor, meist aus der lokalen Geschichtsforschung. Sie griff jedoch in der Regel keine frauengeschichtlichen Fragestellungen auf.
Frauengeschichtsgruppen, die sich seit den 1980er Jahre gegründet haben und häufig an Volkshochschulen angesiedelt waren, interessierten sich einerseits für die Diskriminierung von Frauen und suchten andererseits nach Vorbildern, so dass die Erforschung von herausragenden Frauen große Beachtung fand. Ihren Recherchen ist es zu verdanken, dass ein Großteil der vergessenen Frauen wieder einen Platz in der Geschichtsschreibung erhalten hat.
Im Zuge der zunehmenden Professionalisierung der Frauen- und Geschlechtergeschichte an den Universitäten haben sich mittlerweile die Fragestellungen verändert. Als eine wesentliche Ursache der Hexenverfolgungen werden nun wirtschaftliche Depressionen und die Bewältigung von Krisensituationen angesehen.2 Im Zuge der Auswertung von Gerichtsakten wurden weibliche und männliche Rollenbilder kritisch hinterfragt sowie das Konzept der Ehre in der Ständegesellschaft geschlechterspezifisch untersucht.3
Obwohl es zahlreiche biographische Arbeiten zu adeligen Frauen gibt, fehlt ein systematischer Zugang. Welche Erträge zutage treten könnten, wenn die Fragestellungen professionell angeleitetet werden und das Interesse über die biographische Erzählung hinausgeht, zeigt eine kürzlich erschienene Quellenedition zur adeligen Lebenswelt im Rheinland.4
Auch die Drucklegung der Testamente der Essener Stiftsdamen aus dem 17./18. Jahrhundert und der Inventare der Herzogin Jacobe von Jülich-Kleve-Berg gibt einen Eindruck davon, wie auskunftsfreudig diese Art von Quellen für die Frauen- und Geschlechtergeschichte sein können.5 Untersuchungen zu den Heiratsbeziehungen zwischen den adeligen Familien, der Ämterverteilung oder zur Frage, in welchen Einrichtungen bzw. Klöstern und Stiften die Töchter und Söhne der Adligen erzogen worden sind, könnte vielfältige Aufschlüsse über die Netzwerke innerhalb der adeligen und patrizischen Schichten geben. Die Rolle von Frauen innerhalb der fürstlichen Repräsentation ist ebenfalls noch nicht ausreichend erforscht.
Zu den Unternehmerinnen der Frühen Neuzeit liegen zwar einige biographische Skizzen vor, jedoch zeigt sich auch hier, dass es sich lohnen würde, die Fragestellungen unter geschlechterspezifischen Aspekten weiter zu differenzieren. Das gilt auch für die gut erforschten Industriepioniere und ihre Familien: Welche Handlungsspielräume hatten Frauen in diesen Familien? Wie gestaltete sich die Arbeitsteilung und wie veränderten sich die Strategien, wenn sie als Witwen die Geschäfte leiteten? Große Forschungsdesiderate gibt es hinsichtlich der Frauen im Bürgertum, in der Kaufmannschaft und im Handwerk, denen bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Sinnvoll wäre ein größeres Forschungsprojekt zur Frühen Neuzeit, das den Schwerpunkt auf eine vergleichende Perspektive legt.
Um mehr über den Alltag von Frauen und Männern in der Frühen Neuzeit zu erfahren, müssten weitere Quellen ausgewertet werden, wie z. B. Visitationsprotokolle der kirchlichen Obrigkeiten. Das gilt auch für die Kriegserfahrungen im 16./17. Jahrhundert und das Zusammentreffen mit den einquartierten Söldnerheeren, die bislang kaum erforscht sind. Ebenso fehlt es an Untersuchungen zu den Schul- und Ausbildungssituationen von Mädchen und Jungen. Um diese Forschungsdesiderate zu beheben, wäre es sinnvoll, wenn sich die Ruhrgebietsuniversitäten in Forschungsverbünden zusammenschließen würden, um unter bestimmten Fragestellungen Archivbestände systematisch zu durchforsten und zu erschließen.
Magdalena Drexl / Ruhr Museum
- Vgl. u.a. Küppers-Braun, Ute, Frauen des hohen Adels im kaiserlich-freiweltlichen Damenstift Essen (1605-1803). Eine verfassungs- und sozialgeschichtliche Studie, Münster 1997; dies.,„Etwas ganz sonderbares aber ist, daß in dem Fürst. Stifft Essen die erste Claß derer Land-Stände aus lauter Frauenzimmer besteht“. Die landständige Verfassung des Hochstifts bzw. Fürstentums Essen, in: Westfälische Forschungen 53.2003, S. 109-129; dies., Macht in Frauenhand. 1000 Jahre Herrschaft adeliger Frauen in Essen, Essen 2008 (4. Auflage).
- Vgl. z. B. Gersmann, Gudrun, „… ein wenig anmutendes Kapitel aus der Menschheitsgeschichte“. Die Zauberei- und Hexenprozesse des Ruhrgebiets als Gegenstand lokaler Geschichtsforschung, in: Jahrbuch des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark, 89.1991, S. 169-181; dies., Auf den Spuren der Opfer – zur Rekonstruktion weiblichen Alltags unter dem Eindruck frühneuzeitlicher Hexenverfolgung, in: Lundt, Bea (Hg.), Vergessene Frauen an der Ruhr, Köln u.a. 1992, S. 243-272.
- Vgl. u. a. Fuchs, Ralf-Peter, Um die Ehre. Westfälische Beleidigungsprozesse vor dem Reichskammergericht (1525-1805), Paderborn 1999; ders., Der lange Kampf der Catharina von Dahlhausen um ihre Ehre. Eine Fallstudie zur Justiznutzung von Frauen im 16. Jh., in: Westphal, Siegrid (Hg.), In eigener Sache. Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 43-60.
- Gersmann, Gudrun und Hans-Werner, Langbrandtner (Hg.), Adlige Lebenswelten im Rheinland. Kommentierte Quellen der Frühen Neuzeit, Köln, Weimar, Wien 2009.
- Küppers-Braun, Ute, Frauentestamente. Stiftsdamen, Fürstinnen-Äbtissinnen und ihre Schwestern in Selbstzeugnissen des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 104.1991/92, S. 11-99.
Beitrag (ohne Bilder und Quellen) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0, International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag
Copyright © 2019 frauen/ruhr/geschichte und Autor_in.