Als sich die stellvertretende Bürgermeisterin und Vorsitzende der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe im September 2009 vom Rat der Stadt Gladbeck verabschiedete, konnte Maria Seifert auf eine eindrucksvolle, mehr als 33jährige Tätigkeit auf den verschiedensten Feldern der Kommunal-, Kreis- und Regionalpolitik zurückblicken.
Wenngleich sie sich, so erinnert sich Seifert, bereits als Jugendliche nicht mit einfachen Antworten abspeisen ließ, sich über Ignoranz und Ungerechtigkeit empörte und kritisch (kommunal-)politische Entscheidungen verfolgte, fasste die Industriekauffrau erst mit 35 Jahren den Entschluss, parteipolitisch aktiv zu werden. Bis dahin war es in meiner Familie nicht üblich, in eine Partei einzutreten. Schließlich habe ich es getan, weil ich einfach gedacht habe, du musst dir von deinen beiden Söhnen nachher nicht sagen lassen, dass du nichts getan hast außer an der Zeitung gesessen und gemeckert.
Als Maria Seifert 1972 in ihrem Wohnort Gladbeck in die CDU (Christliche Demokratische Union Deutschlands) eintrat, schien die Zeit für Frauen günstig zu sein: Die Welle der Emanzipation hatte die Frauen erreicht, und im Gefolge der Neuen Frauenbewegung sahen sich nun die Parteien einem wachsenden Druck ausgesetzt, ihr äußeres Profil und ihre innere Struktur zu verändern. Frauen wurden nun umworben, in die Parteien einzutreten, wodurch zumindest die Frauenanteile in den Parteien deutlich anstiegen. Allerdings, in eine Gaststätte zu gehen und so richtig Politik zu machen mit den Männern an der Theke, war für Frauen eher ungewöhnlich. Zudem waren jüngere Frauen, zumal mit kleinen Kindern, in der damaligen CDU noch die Ausnahme. Doch was bis dahin noch als Hindernis galt, wurde in Gladbeck nun als strategische Chance begriffen und Maria Seifert wurde als jüngste Frau und zweifache Mutter von ihrer Partei 1976 für den Rat ihrer Stadt aufgestellt. Damit gehörte Maria Seifert zu den kommunalpolitischen Pionierinnen, denn mit einem durchschnittlichen Anteil von nur acht Prozent waren Frauen in den 1970er Jahren in den Kommunalparlamenten noch weithin unterrepräsentiert. Erst in den 1980er Jahren sollte sich bei den Mandaten für Frauen der eigentliche Durchbruch zeigen. Lag der durchschnittliche Frauenanteil 1983 bereits bei rund 13 Prozent, betrug er 1990 schon knapp 21 Prozent. Fünf Jahre später konnten die Mandatsanteile von Frauen nochmals auf 25 Prozent gesteigert werden – seit dieser Zeit allerdings stagnieren die Sitze für Frauen in den Räten der Kommunen.
Auch die konkreten Arbeitsfelder und Ausschüsse, in denen Frauen sich engagieren, waren und sind bis heute noch vornehmlich die traditionell als „weiblich“ konnotierten Bereiche wie Soziales und Kultur, nicht zuletzt, da deren – eigentlich elementarer – Stellenwert im städtischen Gesamtgefügte als eher marginal eingestuft wird. Maria Seifert hat sich deshalb auch zunächst gegen diese geschlechtstypisierende Zuordnung gewehrt, bevor sie schließlich den Spieß umdrehte und ihre Kompetenzen zum Anlass nahm, sich selbstbewusst den Herausforderungen in diesen Politikfeldern zu stellen. Der Erfolg ihrer Arbeit zeigte sich nicht zuletzt darin, dass sie seit 1984 bis zu ihrem Ausscheiden aus der Politik im Jahre 2009 durchgängig die Leitung des Sozialausschusses ausübte. Ähnlich agierte sie, wenn es darauf ankam, Themen der Gleichberechtigung und sozialen Chancengleichheit aufzugreifen und politisch umzusetzen. Gemeinsam mit anderen Frauen – auch über Parteigrenzen hinweg – versuchte sie, verkrustete Strukturen zu lösen und „Frauen nach vorne zu bringen“. Stolz ist sie noch heute darüber, dass sie mithelfen konnte, eine Frauenberatungsstelle in Gladbeck aufzubauen und die Stelle einer städtischen Gleichstellungsbeauftragte einzurichten.
Demgegenüber galt es parteiintern vor allem Sitzfleisch zu entwickeln, hocken zu bleiben und zu warten, auch um den Preis, erst mal mit den Männern einen Schnaps zu trinken, um an die nötigen Informationen und gegebenenfalls auch Mehrheiten für die nächste Ratssitzung zu gelangen. Eine Strategie, von der viele Frauen in der heute auch immer noch stark männerbündisch verfassten Politik ein Lied singen können. Solche Strategien und das Quäntchen Glück sind es, die Frauen in der Politik trotz aller Hindernisse dann doch den notwendigen Karrieresprung verschaffen, um den erhofften Einfluss zu erhalten und Veränderungen mitgestalten zu können. So erging es auch Maria Seifert, als sie 1983 zunächst in den Kreistag des Kreises Recklinghausen und per Zufall unmittelbar danach als Nachfolge für einen in den Bundestag nachgerückten Parteikollegen in die Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe einzog.
Da traf ich dann, als ich das erste Mal dorthin in die Fraktion kam, lediglich eine weitere Frau an. Obgleich sich der Frauenanteil in den überregionalen Parlamenten Anfang der 1980er – nicht zuletzt durch den Einzug der GRÜNEN, der damals einzigen bereits quotierten Partei erhöht hatte, betrug der Anteil von Frauen im „Westfalenparlament“ in Münster nur sechs Prozent. Lediglich sieben von 108 Parlamentariern waren Frauen. Erst seit dem Jahre 1989 erreichten die Frauen in der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe eine zweistellige Mandatsgröße.
Während in den meisten Parlamenten zu dieser Zeit Frauen zunächst um Mandate ringen mussten, wurde in Gladbeck 1989 Maria Seifert zur stellvertretenden Bürgermeisterin gewählt. Allerdings war man es in Gladbeck bereits gewohnt, Bürgermeisterinnen zu haben: „Wir hatten auch schon vorher eine stellvertretende Bürgermeisterin. Das war eigentlich kein großes Problem. Zugute kam uns auch die Umbruchszeit, in der nun auch in den Kommunen von den Partein erkannt wurde: Wir müssen Frauen nach vorne bringen.“
Letztlich war es ein Mix aus Courage und Neugierde, wie Maria Seifert rückblickend betont, der sie in die Politik führte und von dem aus sie Politik gestalten wollte.
Sicherlich war es auch ihre Kompetenz, die sie sich über Jahre in politischen Fachausschüssen erworben hatte und wegen derer sie 1995 zunächst zur stellvertretenden Vorsitzenden der Landschaftsversammlung, 2000 zur Vorsitzenden des Landesjugendhilfeausschusses und seit 2002 zur Vorsitzenden der Landschaftsversammlung gewählt wurde.
Julia Paulus/ LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster
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