Henriette Davidis

"Das Leben der glücklichen Gattin und Hausfrau ist eine stete Selbstverleugnung.“

Johanna Friederika Henriette Davidis wurde als zehntes Kind des lutherischen Pfarrers Ernst Heinrich Davidis und seiner aus dem niederländischen Breda stammenden Ehefrau Maria Katharina Lithauer in Wengern (heute Stadt Wetter) geboren. Nach der Konfirmation, also mit dem Beginn des Erwachsenenalters, zog Henriette zu ihrer älteren Schwester Elisabeth, verehelichte Wichelhausen auf Haus Martfeld in Schwelm. Hier besuchte sie die höhere Töchterschule, auf der sie sich als äußerst begabte Schülerin erwies. Von Schwelm ging sie bereits zwei Jahre später nach Elberfeld, um an der dortigen Höheren Töchterschule als Gehilfin zu arbeiten.

Gründungen von privaten Höheren Töchterschulen setzten um 1800 ein. Eine Vorreiterrolle in der Region besaß das 1796 in Hamm gegründete „Töchter-Institut“, das Mädchen zu „moralischen Wesen“ gemäß ihrer kulturveredelnden Bestimmung als Gattin und Mutter bilden wollte. Die Schulgründung in Schwelm folgte schon 1804.

Eine offenbar familiäre Notsituation beendete Henriette Davidis Laufbahn als Lehrerin in Elberfeld. In Witten-Bommern übernahm sie, etwa 20jährig, die Erziehung der vier Kinder ihrer Schwester. Im Anschluss daran ging sie für weitere vier Jahre als Erzieherin nach Bremen. Es folgten für die unverheiratete, mittellose Davidis weitere Wanderjahre als Betreuerin, Erzieherin und Gesellschafterin, bis sie sich als 40jährige in Sprockhövel bei Verwandten niederließ. Über den Frauenverein Sprockhövel, der arme Kinder weiblichen Geschlechts in Handarbeiten unterrichtete, gelangte ihr guter Ruf als Pädagogin bis zum Bergamt Bochum, das in Sprockhövel die Einrichtung einer „Mädchen-Industrieschule“ plante. Das Interesse der staatlichen Bergbehörde an der Unterweisung von Bergmannstöchtern in sogenannten „Industrie-Schulen“ speiste sich aus einer profitmaximierenden Interpretation der geschlechtlichen Arbeitsteilung: Je effektiver die Frau Haushaltsführung, Vorratshaltung, Viehwirtschaft und Gartenbau einzusetzen wusste, umso geringer konnte der  Lohn des Bergmanns für die Existenzsicherung des Familienverbandes bemessen werden.

Zu dieser Industrie-Schule kam es nicht. Stattdessen stellte Henriette Davidis in Sprockhövel ihre Rezeptsammlung zusammen und ließ sie 1844/ 45 bei Velhagen & Klasing in Bielefeld drucken. Mit diesem 334 Seiten starken Buch wurde sie berühmt und hatte finanziell ausgesorgt. Für die erste Auflage, von der 1.000 Exemplare gedruckt wurden, erhielt sie 450 Taler, etwa so viel, wie Sprockhöveler Bergleute in drei Jahren verdienten. Noch im selben Jahr wurde die zweite Auflage in Höhe von 2.000 Exemplaren gedruckt, die dritte mit 3.000 Exemplaren erschien 1846. Als Henriette Davidis 1876 in Dortmund starb, war gerade die 21. Auflage mit einer Auflagenhöhe von 40.000 Exemplaren in Druck.

Neben dem Kochbuch in zahlreichen, jeweils überarbeiteten Auflagen publizierte Henriette Davidis weitere Schriften, die sich ebenfalls als Bestseller erweisen sollten – Der Gemüsegarten von 1850 erschien 1918 in der 22. Auflage,1856 Puppenköchin Anna, 1857 Der Beruf der Jungfrau, 1858 Puppenmutter Anna, 1861 Die Hausfrau. Praktische Anleitung zur selbständigen und sparsamen Führung eines Haushaltes. Sie arbeitete außerdem als freie Mitarbeiterin beim Christlichen Frauenblatt Daheim und beim Christlichen Volksblatt.

Henriette Davidis verstand es, die Wertvorstellungen der bürgerlichen Welt als Geschlechterarrangement zu formulieren und zu vermitteln, den kleinen Mädchen ebenso wie den angehenden und praktizierenden Hausfrauen. Ihre Bücher wurden deshalb auch vom männlichen Publikum verschenkt und gehörten zum festen Repertoire einer sich neu formierenden bürgerlichen Öffentlichkeit. Sie wirkte mit ihrem Rollenmodell, das Selbstverleugnung, Sparsamkeit, Ordnung, Häuslichkeit und Frömmigkeit von Frauen forderte, weit über bürgerliche Schichten hinaus auch normbildend für kleinbürgerliche und proletarische Milieus: Die wahre weibliche Bildung umfasst nicht nur das Wahre, Erhabene und Schöne; sie erstreckt sich auch auf die praktische Seite des Lebens und ihr ist nichts zu gering, was zu einer angenehmen Häuslichkeit dient, schrieb sie in ihrem Werk Der Beruf der Hausfrau.

Ihre Bücher erschienen zu einer Zeit, als sich die Region mit bisher nicht gekannter Dynamik veränderte. Die Industrialisierung überformte Produktionsweisen, Landschaften, Städte und Lebensläufe; sie brachte Güter, Menschen und Nachrichten an alle Orte. Das zunehmend selbstbewusster agierende Bürgertum in Unternehmen, Wissenschaft und Verwaltung suchte nach einem eigenen Selbstverständnis, nach gesellschaftlicher Form, nach Orten für Frauen, Männer und Kinder, Junge und Alte, Klassen und Schichten. Und so wurde an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auch das Geschlechterverhältnis neu positioniert: polar und hierarchisch. Während alte ständische Zuschreibungen durch göttlichen Willen seit der Aufklärung brüchig wurden, diente sich nun die Wissenschaft an, um die Unterordnung der Frau unter den Mann zu legitimieren. Henriette Davidis folgte emblematisch dem Geschlechterarrangement in Schillers Glocke:„ … Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben. Muss wirken und streben … Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder und herrschet weise im häuslichen Kreise …“ Beim weiblichen Weimarer Publikum war diese Sicht der Dinge bereits bei der Vorstellung des Gedichtes 1799 durchgefallen! Auch die aus Spröckhövel stammende Mathilde Franziska Anneke rechnete 1848 in ihrer Schrift Das Weib in Conflict mit den socialen Verhältnissen mit dem von Davidis postulierten Frauenbild ab und forderte, die Wahrheit zu erkennen:„Weil die Wahrheit uns befreit von dem trügerischen Wahne, dass wir oben belohn werden für unser Lieben und Leiden, für unser Dulden und Dienen. Weil sie uns zu der Erkenntnis bringt, dass wir gleich berechtigt sind zum Lebensgenusse wie unsere Unterdrücker, dass diese es nur waren, die die Gesetze machten und sie uns gaben …“

Das eigene Leben der Henriette Davidis zeigte wenig von dem selbstverleugnenden Frauenbild, das sie erfolgreich propagierte. Als Ratgeberautorin war sie nicht bescheiden, sondern energisch und durchsetzungsfähig. Sie agierte nicht im stillen Kreise des Hauses, sondern als öffentliche Autorität.

Karin Hockamp / Stadtarchiv Sprockhövel

Orte:

Henriette-Davidis-Museum, Elbscheweg, 58300 Wetter-Wengern
Haus Heine, Hauptstraße 4, 45549 Sprockhövel
Grabstein auf dem Dortmunder Ostenfriedhof, Nähe Haupteingang, Robert-Koch-Straße 35, 44143 Dortmund
Deutsches Kochbuchmuseum Dortmund, An der Buschmühle, 44139 Dortmund  www.museendortmund.de/kochbuchmuseum

Literatur:

Framke, Gisela/ Marenk, Gisela (Hrsg.), Beruf der Jungfrau. Henriette Davidis und Bürgerliches Frauenverständnis im 19. Jahrhundert, Oberhausen 1988.
Hieber, Hanne: UNSER "Jettchen", in: Drutmunde, Tremonia, Dortmund, Geschichten von Dortmunder Weibsbildern, Dortmund 1999, S. 92-94.
Hockamp, Karin, Henriette Davidis und das Frauenleben im 19. Jahrhundert:„Das Leben der glücklichen Gattin und Hausfrau ist eine stete Selbstverleugnung“ (2001) , unter: www.sprockhoevel.de /Stadtinfo/Stadtgeschichte/Texte aus dem Stadtarchiv.
Kayser, Sigrid, Geschichte der höheren Mädchenbildung in Hamm 1796-1927, Hrsg.: Hammer Geschichtsverein e.V., Hamm 2001.
Killing, Anke, Henriette Davidis und ihre Zeit. Hrsg.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Landesbildstelle Westfalen, Münster 1998.
Methler, Eckehard und Walter, Henriette Davidis. Biographie, Bibliographie, Briefe. Hrsg.: Ev. Kirchengemeinde Volmarstein (Veröffentlichungen des Henriette-Davidis-Museums Bd. 10), Wetter 2001.
Timm, Willy, Henriette Davidis, in: Westfälische Lebensbilder, Bd. XII, Münster 1979, S. 88-103.
Treek, Hans-Dieter (Bearb.), Henriette Davidis - ein Online-Lesebuch, http://www.lwl.org/LWL/Kultur/westbibl/Davidis/, erschienen in der Reihe Bibliothek Westfalica, in der die wissenschaftliche Kommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) Buchschätze vergangener Jahrhunderte in Auswahlausgaben wieder verfügbar macht.

Zitation: Hockamp, Karin, Henriette Davidis, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/henriette-davidis/

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