Wie Ehe und Familie die spätmittelalterliche Stadtgesellschaft Dortmunds begründeten, zeigen uns Überlieferungen des Ehepaars Gunter.
Else Goldschmied, Tochter von Mette und Hermann Goldschmied, heiratete im Oktober 1426 den Hinrich Gunter. Das Paar regelte seine finanziellen Angelegenheiten in einem Ehevertrag. Zwei Jahre nach der Hochzeit kaufte Hinrich Gunter für seine Frau sowie für deren Mutter und Schwester Leibrenten. 1433 verkaufte das Paar einen Hof und ein Haus, das der Ehemann geerbt hatte. Obwohl Else Goldschmied nur diese wenigen Spuren hinterlassen hat, lässt sich daraus das Leben einer Frau aus der Dortmunder Oberschicht im Spätmittelalter rekonstruieren.
Else und Hinrich Gunter stammten beide aus dem städtischen Patriziat: Unter den Brautleuten und den Zeugen ihres Ehevertrags finden sich Mitglieder aus Ratsfamilien. Dieser Ehevertrag wurde am Morgen nach der Hochzeitsnacht geschlossen. Abgesandte der Hochzeitsgesellschaft marschierten in das Zimmer der frisch Vermählten und überzeugten sich davon,„do der eine von dem anderen upsteht“, bevor die Brautleute das Zimmer verließen. Die Hochzeitsnacht war in Dortmund keine intime Angelegenheit, sondern ein Vorgang von öffentlicher Bedeutung. Über den Stand der Ehe wurden wirtschaftliche und politische Angelegenheiten organisiert: Nur in der Ehe gezeugte und geborene Kinder konnten erben; nur ehelich geborene Männer wurden in den Rat aufgenommen.
Im Mittelalter gab es keinen Formalakt, der den Beginn einer Ehe eindeutig festlegte. Die Kirche erkannte eine Ehe als gültig an, wenn beide Partner freiwillig zugestimmt und die Ehe vollzogen hatten. In Dortmund und anderen Städten bestimmten die Ratsherren, dass Augenzeugen den ersten Beischlaf zwischen einer Bürgertochter und einem Bürgersohn bestätigen mussten. Der Ehevertrag von Else und Hinrich Gunter wurde deshalb von Männern und von zwei Frauen bezeugt, darunter Bele Gunter, Schwester des Bräutigams. Bei einem Ehevertrag durften also auch Dortmunderinnen als Zeugen auftreten. Denn nur Frauen waren bei der Geburt eines Kindes anwesend. Gab es später einen Erbstreit mit einer Beglaubigung der ehelichen Geburt eines Beteiligten, dann waren eben diese Frauen aufgefordert, den ersten Beischlaf der Eltern zu benennen. Das Zeugnis der Frauen als auserwählte Brautleute in diesen sogenannten Morgensprachen – also den spätmittelalterlichen Eheverträgen, die am Morgen nach vollzogener Ehe geschlossen wurden – hatte also öffentliche Bedeutung. Es ersetzte amtliche Zeugnisse, da es bis zum Ausgang des Mittelalters kaum Tauf-, Ehe- und Sterberegister gab.
Das Stadtrecht erlaubte den Gunters eine besondere Testamentsklausel für den Fall, dass die Ehe kinderlos blieb. Diese Klausel reduzierte den Erbteil der Verwandten des verstorbenen Ehepartners auf einen geringen Teil des Vermögens, das die Brautleute in die Ehe gebracht hatten. Der überlebende Ehepartner wurde dadurch begünstigt und die eheliche Verbindung gewann an Bedeutung. Das Dortmunder Stadtrecht behandelte die Eheleute im Güter- und im Erbrecht gleich. Die Eheleute besaßen auch gemeinsam die Erziehungsgewalt. So verlor eine Tochter, die sich ohne Zustimmung beider Elternteile verheiratete, ihr Erbrecht. Die Stellung der Hausfrau und der Wert ihrer Arbeitsleistungen, ihrer Arbeit in der Hauswirtschaft sowie ihrer Mitarbeit im Familienbetrieb wurden ebenso geschätzt wie die Arbeit des Mannes. Aufgrund der ehelichen Gütergemeinschaft konnte Hinrich Gunter Haus und Hof, die er von seinem Vater geerbt hatte, nur mit Zustimmung seiner Frau verkaufen.
Personenrechtlich kam Else Gunter mit ihrer Heirat unter die Munt, die eheherrliche Vormundschaft ihres Mannes. Dies bedeutete: Ohne ihren Mann durfte sie nicht als Zeugin, Klägerin oder Angeklagte vor Gericht auftreten, sie durfte keine Grundstücke kaufen, verkaufen oder verschenken. Hinrich Gunter hatte als Hausvater eine starke Position innerhalb der Familie. Er war Vorsteher des Hauses. Seine Hausherrschaft erstreckte sich auf die Söhne – auch auf die volljährigen, solange sie im Haus lebten – sowie auf Mägde und Knechte. Das gemeinsame Vermögen beider Ehegatten musste er zum Nutzen der Familie vermehren. Das tat Hinrich Gunter, als er zwei Jahre nach seiner Heirat Renten von der Stadt kaufte, für seine Ehefrau, deren Mutter Mette und deren Schwester Bele von Werl. Damit sicherte Hinrich seine Frau und ihre verwitweten Angehörigen finanziell ab. Trotz der personenrechtlichen Vormundschaft des Ehemannes galten unter den Eheleuten der Dortmunder Führungsschicht zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Güter- und Vermögensrecht partnerschaftliche Grundsätze.
Dr. Anke Schwarze/ Werne
Orte:Dortmund-Innenstadt, innerhalb des Walles. Hinrich Gunter wurde im Verwaltungsbezirk der Borgbauerschaft geführt, dies entspricht dem Dortmunder Kerngebiet innerhalb der heutigen Wallstraßen.
Schwarze, Anke, " De mans an ... der rechter siit und de vrouwen an .. der luchter ". Das Geschlechterverhältnis im spätmittelalterlichen Dortmund, Essen 2002.
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