Im „Bewusstsein eines sinnvollen Lebens“ – die Essener Sozialistin, Feministin und Bewegungslehrerin
Debora, genannt Dore, war das älteste von drei Kindern der Frauenrechtlerin Berta Marcus und des Juristen und Kantforschers Ernst Marcus; geboren wurde sie am 27. Juni 1894 in Essen. Schon in der Kindheit und durch fachkundige Anleitung kam sie mit tänzerischer Gymnastik in Berührung, einem Lernfeld, das ihre Berufswahl und ihren Lebensentwurf wie kein anderes bestimmen sollte. Die von ihren Eltern erwünschte höhere Bildung blieb Dore jedoch zunächst versagt. Erst auf Druck des Vereins „Frauenwohl“1 und nachdem der Preußische Landtag 1908 Reformen beschlossen hatte, stimmten die örtlichen Behörden einer zweiten Mädchen-Gymnasialklasse zu.2 Dore durfte nach mehrmonatigem, von Lehrkräften erteilten Privatunterricht das Goethe-Realgymnasium besuchen, und sie bestand 1911, mit 17 Jahren, die Reifeprüfung.3 Zu diesem Zeitpunkt schwebte ihr nach eigener Aussage der Lehrerinnen-Beruf vor. Als sie ein Jahr lang Mathematik und Physik in Heidelberg studiert hatte, wechselte sie 1912 an die Technische Hochschule Dresden. Mehr als die beiden Fächer interessierte sie das Angebot der berühmten Bildungsanstalt des Tanzpädagogen Émile Jaques-Dalcroze4 in der Dresdner Gartenstadt Hellerau. In zwei Jahren erlernte sie die „Rhythmische Gymnastik“ und schloss mit einem Diplom ab. Ihr sei klar geworden, dass „nicht die Studienrätin mein eigentliches Anliegen war […]. Die Rhythmik hatte mich ganz in ihren Bann gezogen.“5 Im Jahr 1914 kehrte Dore nach Essen zurück und heiratete ihren langjährigen Gefährten und früheren Mathematik- und Physiklehrer Artur Jacobs (1880–1968). Ihr Studium, nun an der Universität Bonn, führte sie bis 1915 eher halbherzig fort. Sie konzentrierte sich zunehmend auf Bewegungsbildungskurse für Kinder und junge Frauen.
Engagierte Jugendgruppenleiterin
In Heidelberg, so Dore Jacobs in einem Erinnerungstext, habe sie erstmals über die „Judenfrage“ nachgedacht und sich während der Bonner Monate von Referaten des Religionsphilosophen und Zionisten Martin Buber inspirieren lassen.6 Sie übernahm die Idee einer jüdischen „Heimstatt“ und erwog sogar, nach Palästina auszuwandern. Mit Rücksicht auf ihre Familie – 1918 war Sohn Gottfried geboren worden – blieb sie in Essen und gründete zusammen mit ihrem Bruder Robert (1901–1978) und gemeinsamen Freunden eine lokale Gruppe des zionistischen Wanderbundes „Blau-Weiß“.7 Ihre Initiative war nicht nur politisch begründet, sondern auch angeregt durch „wilde“ Wanderungen in der freien Natur mit Artur Jacobs und ihren Eltern.8 Die erste Zusammenkunft der Jugendlichen hatte im Wohnhaus der Familie Marcus, Schubertstraße 11, stattgefunden. Nach dem Umzug von Dore, Artur und Gottfried in ein geräumiges Haus am Eyhof (1931 umbenannt in Am Dönhof) fand sich die Gruppe regelmäßig in einem der Kellerräume, ihrem sogenannten Heim, zusammen. Dort diskutierte man über Leseerlebnisse, hielt Referate und schmiedete Zukunftspläne. Sonntags trafen sich alle bei Wind und Wetter um halb acht am Hauptbahnhof und unternahmen ganztägige Ausflüge. In den Ferien ging der „Blau-Weiß“ wochenlang „auf Fahrt“: „Meine Gruppe war die einzige, in der Mädchen und Jungen zusammen wanderten. Wir waren unbegrenzt einsatzwillig. Schliefen wir im Hause, so wurden die Kleinen in die Betten gepackt, und die Großen lagen auf dem Boden. Und wenn wir, wie meist, im Wald schliefen, wurden ein Großer und ein Kleiner zusammen in einen Schlafsack gepackt. Wir waren in jeder Hinsicht radikal in unserem Wanderleben.“9
Das selbstbewusste Auftreten der jungen Leute ebenso wie Dore Jacobs´ erzieherischer Einfluss stießen in vielen Elternhäusern auf Kritik. Wenig Gegenliebe fanden zudem die auf den Aufbau eines jüdischen Staates gerichteten praktischen Berufswünsche. Dessen ungeachtet hielten die jungen Zionistinnen und Zionisten an ihren Zielsetzungen fest. Bestätigung erfuhren sie durch Hugo Hahn, seit 1923 zweiter Rabbiner der Jüdischen Gemeinde; er lud sie zu Festveranstaltungen in die Synagoge am Steeler Tor ein, wo sie Lieder in hebräischer Sprache vortrugen.10 Diese Wandergruppe bestand bis 1924. Ein Teil der „Blau-Weiß“-Mitglieder schloss sich nach der Auflösung dem pfadfinderischen „Kadimah“ an, ein anderer fand über Dore Jacobs den Weg zum „Bund. Gemeinschaft für sozialistisches Leben“11, kurz „Bund“ genannt.
Dore Jacobs und der „Bund“
Gleichgesinnte aus der „Freien Gruppe“ der Essener Volkshochschule12, sieben Frauen und zwei Männer zwischen 25 und 45 Jahren, hatten sich im Jahr 1924 zum „Bund“ zusammengeschlossen. Dore und Artur Jacobs bildeten darin den Mittelpunkt. Diese Gründer:innen blieben, soweit sie nicht in der NS-Zeit Deutschland verlassen hatten, noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Krieg der respektierte „innere Kreis“. Mitglieder wurden sorgfältig ausgewählt, d. h. ein Beitritt aus eigenem Entschluss war nicht vorgesehen. Der Kreis suchte diese in Jugendgruppen, bei den „Naturfreunden“, in linken Parteien und Gewerkschaften, in Sportvereinen sowie in der Verwandtschaft.13 Bis zum Verbot 1933 gehörten schätzungsweise 200 Frauen und Männer zum „Bund“, organisiert in mehreren örtlichen Gruppen im Rhein-Ruhr-Gebiet – keineswegs durchweg Akademiker:innen. Sie hatten sich mit ihrem Eintritt bestimmten „Gesetzen“14 untergeordnet, dazu gehörten Entscheidungen über politische und berufliche Wege, die Abkehr von einer Konfession, Alkohol-Abstinenz, Experimente wie die „Bewährungsehe“ und die Kollektiverziehung. Der Zusammenschluss verstand sich als ein (beitragspflichtiger) Orden15, dessen Streben auf eine Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse gerichtet war und der Vorstellungen eines „ethischen Sozialismus“ und einer „ausbeutungsfreien Gesellschaft“ anhing. Dabei war weniger von der Marxschen Lehre als von Kants Philosophie die Rede.16 Mit einem rituellen Gelöbnis ging jede/r Einzelne die Verpflichtung ein, sein Leben fortan ausschließlich und aktiv diesem Zusammenschluss zu widmen.17 Anders als in Vereinen üblich, verzichtete der „Bund“ auf einen Vorstand, Statuten und Mitgliederlisten. Beschlüsse kamen in ständigem Gedankenaustausch zwischen dem „Inneren Kreises“ und den übrigen Mitgliedern zustande. Dore Jacobs beschrieb diesen sehr eigenen Weg der Willensbildung so: „Selbstverständlich nicht durch Befehl und Gehorsam. Aber auch nicht durch Abstimmung. Vielmehr durch klärende Aussprachen, durch gemeinsames Ringen um Erkenntnis, durch Einsicht und Einigung.“18
Der „Bund“ lebte Teile seiner Zukunftsperspektiven ganz unmittelbar, unter anderem indem ein dichtes Lern- und Arbeitsprogramm aufgestellt wurde; dazu gehörten häufige Zusammenkünfte und unzählige selbst verfasste Schriften und Papiere. Zugleich sollte durch Einflüsse insbesondere auf sozialistische Jugendgruppen eine revolutionäre Umgestaltung in Gang gebracht werden. Exemplarisch für den Schwung der Anfangszeit ist ein von Dore und Artur Jacobs initiiertes überparteiliches „Kulturkartell“; es setzte mit Bewegungs-Chören, Lesungen, einem „Arbeiter-Trio“ und anderen Darbietungen auf die Erneuerung proletarischer Ausdrucksformen.19 Ein pädagogisches Projekt war darüber hinaus auch die 1924 politisch erkämpfte Freie Schule in Essen-Rellinghausen.20 „Bund“-Mitglieder unterrichteten dort hauptsächlich Kinder aus Bergarbeiterfamilien. Sie vermittelten Lebenskunde statt des an anderen Volksschulen vorgeschriebenen Religionsunterrichts, und Dore Jacobs´ Gymnastik gehörte ebenso zum Lehrplan wie vielerlei naturverbundene Unternehmungen. In den Jahren hoher Arbeitslosigkeit richteten Lehrkräfte und Mütter eine Schulküche und eine Nähstube ein.21
Die Essener „Bundesschule für Körperbildung und rhythmische Erziehung“
Dore Jacobs entwickelte in vorsichtiger Absetzung von Jaques-Dalcrozes Körperbildung eine eigene Bewegungslehre, die „organische Gymnastik“, die sie seit 1920 systematisch vermittelte und darin ab 1925 hauptberufliche Bewegungslehrerinnen und -lehrer ausbildete.22 Ihr ging es darum, „Hemmungen fortzuräumen, die der Wiedergabe musikalischer Vorgänge durch Bewegung aus falschem körperlichen Verhalten erwuchsen.“23 Körperliches und Seelisches sollten zusammenfließen. Dabei legte Dore ihr Augenmerk auf die Beziehung zwischen der äußeren Bewegung und der „Innenbewegung“, der Atmung und dem Blutkreislauf.24
1926/27 errichteten „Bund“-Mitglieder in Essen-Stadtwald ein berghüttenähnliches Holzhaus als ständigen Ausbildungsort, an dem nun auch VHS-Kurse für Laien stattfinden konnten und der Wohnungen für Lehrerinnen bot. Das Gebäude, seine bescheiden zweckdienliche Ausstattung und seine Anmutung waren nicht zuletzt Ausdruck der von Dore Jacobs formulierten Ansprüche.25Die „Bundesschule“ lag nur einen Fußweg entfernt vom Wohnhaus Am Dönhof 18, in dem Dore, Artur und Gottfried mit Vertrauten aus dem „Bund“ kurzzeitig oder auch über Jahre zusammenwohnten.26 Nachdem die staatliche Anerkennung des Ausbildungsgangs für künftige Gymnastiklehrer:innen erteilt und das Blockhaus bezogen worden war, begann für die Beteiligten eine neue Schaffensphase. Dore bezeichnete diese verschiedentlich als eine besonders fruchtbare: „Wir waren glücklich, am Stadtrand nahe beim Wald zu sein und bei gutem Wetter auf der Schillerwiese unseren praktischen Unterricht und im eigenen Garten die Theoriestunden geben zu können.“27
Sie registrierte eine vermehrte Breitenwirkung ihrer Gymnastik sowohl durch die Kurse im Haus als auch durch ein Netz von mehr als zwanzig in der Region wirkenden Absolventinnen und Absolventen. Der Erfolg erlaubte es, erwerbslose Männer und Frauen kostenlos aus- und fortzubilden.
„Fragwürdigkeit des heutigen Frauendaseins“
„Bund“-Mitglieder standen den Zielen der bürgerlichen Frauenbewegung nahe, dem Streben nach umfassender Bildung und nach wirtschaftlicher Autonomie durch Berufstätigkeit. Ihre politischen Ziele adressierten sie gleichwohl in erster Linie an Frauen und Jugendliche aus dem Proletariat, geleitet vom Gedanken eines größeren emanzipatorischen Bildungszusammenhangs.28 In den VHS-Kursen von Dore Jacobs und anderen hatten „Frauen-Themen“ einen festen Platz, wiederkehrend beispielsweise „Die Lage der Frau in der heutigen Gesellschaft“ oder „Eheprobleme“. Für Vorträge und Arbeitsgemeinschaften zur Sexualerziehung und zur „Mädchenfrage“ warben sie in der Sozialistischen Arbeiterjugendbewegung; in dieser nahmen sie nämlich noch „Weibchenhaftigkeit“ und festgelegte Rollen wahr.29 Im „Bund“ dagegen waren Gleichheitsverhältnisse im Großen und Ganzen Realität geworden: Bezahlte pädagogische Kräfte übernahmen die Kindererziehung, und in den Wohngemeinschaften verrichteten Männer und Frauen die Alltagstätigkeiten zu gleichen Teilen.30 Grundsätze „moderner Haushaltsführung“ kamen in Bildungsveranstaltungen immer wieder zur Sprache, auch in den Mütterkreisen an der Freien Schule Rellinghausen. Die herkömmliche Arbeitsteilung sollte durch öffentliche Ernährung, Großhaushalte u.a. überwunden werden: „Die Forderung der berufstätigen Frau zieht unausweichlich grundsätzliche Folgen, tiefgreifende Umwandlung in Bezug auf Haushalt, Familie, Kindererziehung usw. nach sich. Hier gilt es: Nicht vor den Konsequenzen erschrecken! Nicht auf halbem Wege stehenbleiben!“31
Dore Jacobs vertrat schon während der Weimarer Republik eindeutig feministische Positionen, und erstaunlicherweise hing sie der noch kaum verbreiteten Auffassung vom Erwerben weiblicher und männlicher Eigenschaften an, dem Gendering, wie heute gesagt wird. Die „Bund“-Frauen insgesamt lehnten naturhafte Vorstellungen über jungen- und mädchenhaftes Aussehen und Verhalten entschieden ab; sie sahen in Erziehung und Sozialisation die maßgeblichen Faktoren. Das hieß: „Grundsätzlicher Verzicht auf jedes Streben nach männlicher oder weiblicher Eigenart – nicht aus Gleichmacherei, sondern gerade um der wahren Eigenart der Geschlechter willen, die sich nur in der Lebensluft völliger Gleichheit ungehemmt entfalten kann.“32 Wie weiblich oder männlich menschliche Wesen seien, sollte sich demnach im Verlauf des Aufwachsens herausstellen.
Unterrichtsverbot – illegale Arbeit – ein Hilfswerk
Der „Bund“, seit 1931 „Internationaler Sozialistischer Orden“ genannt, wurde, nachdem die SA das Blockhaus gewaltförmig inspiziert hatte, im September 1933 verboten. Auch hatten die NS-Machthaber Mitglieder vorgeladen, einige vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen. „Bund“-Mitglieder, so behaupteten sie, leisteten „marxistischen Bestrebungen Vorschub“.33 Artur Jacobs hielt sich aus Furcht vor einer Verhaftung monatelang bei Verwandten in Wuppertal auf, auch andere verließen das Ruhrgebiet. Die VHS-Arbeit der „Freien Gruppe“ war seit dem Sommer untersagt, und die „Bundesschule“ musste ihre Arbeit Mitte 1934 einstellen. Einen Teil der Räume konnte Dore bis zum Ende der Naziherrschaft an die katholische Pfarrgemeine St. Lambertus vermieten. Geringe Einnahmen erzielte sie außerdem durch Privatunterricht, der sich zuletzt auf wenige jüdische Schülerinnen beschränkte. Ihr faktisches Arbeitsverbot gefährdete die Existenz der Familie, zumal Artur Jacobs aufgrund seiner politischen Überzeugungen Pensionsansprüche verloren hatte.34 Gottfried, mittlerweile 16 Jahre alt, verbrachte angesichts dieser Entwicklung mehrere Wochen in Hamburg bei seiner Tante Eva, Dores Schwester, bevor ihn nach Diskriminierungserfahrungen an Schulen im Harz und in Essen Verwandte in den Niederlanden aufnahmen.35
Nach dem Krieg schrieb Dore über den in vielerlei Hinsicht tiefen Einschnitt: „Im Äußeren war das ein schwerer Rückschlag. Unsere Arbeit hatte eben damals einen Höhepunkt erreicht, der es erlaubt hätte, die Schule nun auch nach der wirtschaftlichen Seite auszubauen. Alles das war abgeschnitten. Umso intensiver arbeiteten wir nach innen, im kleinen Kreise befreundeter Kollegen.“36
Der „Bund“ bemühte sich in jenen Jahren um Unauffälligkeit. Jede/r erwartete (zu Recht) Hausdurchsuchungen, Postkontrollen, Verhaftungen und Verhöre und hatte sich genauestens auf solche Situationen vorbereitet. Schriften, Papiere und Protokolle mussten vorsorglich versteckt werden. „In Rollenspielen übten Mitglieder, wie sie in bestimmten Fällen – zum Beispiel bei einem Verhör – reagieren würden, und wurden anschließend von anderen Gruppenmitgliedern kritisiert. Die für richtig befundenen Antworten wurden schließlich so oft wiederholt, bis alle sie im Schlaf aufsagen konnten.“37 Gefahr drohte, wenn Nachbarn im Stadtwald der Gestapo „verdächtiges Verhalten“ meldeten, das meinte: häufiges Kommen und Gehen unkonventionell gekleideter Besucher:innen.38 Dem „Bund“ gelang es, einen wenngleich reduzierten Zusammenhalt zu bewahren. Politische Versammlungen fanden in „Bundhäusern“ statt, aber auch im Sauerland oder an der See, wo man Formen der Widerständigkeit beriet und verabredete. Das Wandern und die tänzerische Gymnastik gaben den Treffen einen harmlosen Anstrich. Auch dass Opposition und Widerstand in der NS-Gedankenwelt vornehmlich als männliche Verhaltensmuster galten, kam dem „Bund“ mit seinem hohen Frauenanteil zugute.39
Bereits vor der Machtübertragung an Hitler hatten die „Bund“-Genoss:innen Gefahren für Jüdinnen und Juden erkannt und Schutzmaßnahmen überlegt. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 machte eine unmittelbare Bedrohung sichtbar, und der Vernichtungswille des Regimes zeichnete sich nach dem Überfall auf Polen und zwei Jahre später mit den ersten Deportationen aus dem Reichsgebiet unzweifelhaft ab. Als jüdischer Teil einer „Mischehe“ war Dore noch geschützt. Sie erlebte aber, wie von Entrechtung und Enteignung betroffene Freundinnen und Freunde Deutschland zu verlassen suchten oder, wenn dies misslang, in die Verfolgungs- und Mordmaschinerie der Nazi gerieten, darunter auch ehemalige Mitglieder ihrer „Blau-Weiß“-Gruppe.40 Sie und etliche „Bund“-Mitglieder hielten Kontakt zur jüdischen Gemeinschaft, halfen ganz praktisch bei der Flucht aus Deutschland. Auch schickten sie eine große Zahl von Briefen und Paketen an in Ghettos und Lager Verschleppte, u. a. nach Theresienstadt und Auschwitz. Durch Hilfsbereitschaft und Einfallsreichtum konnten außer Lisa Jacob, Marianne Ellenbogen und Dore Jacobs fünf weitere jüdische Menschen gerettet werden, meist mit falschen Papieren oder „untergetaucht“ bei „Bund“-Mitgliedern an wechselnden Orten (auch im Blockhaus in der Leveringstraße). In Nachkriegsberichten und sogenannten Auslandsbriefen bezeichneten sie ihr unglaublich stabiles Netz von couragierten Unterstützer:innen als „Judenhilfswerk“.41
Dore Jacobs floh im Frühjahr 1944 mit Artur von Wuppertal, wohin das Paar umgezogen war, nach Meersburg am Bodensee. Dore hielt sich bis zum Kriegsende in einer von „Bund“-Freundinnen betriebenen Pension auf, teils verborgen, teils unter falschem Namen gemeldet, zuletzt getarnt als „ausgebombte Arierin“. Sie entging so der im Herbst 1944 im Rheinland angeordneten Einweisung jüdischer „Mischehe“-Partner:innen in Arbeits- und Konzentrationslager.42 Ob Dore und Artur die Stadt aufgrund von Gerüchten oder Hinweisen rechtzeitig verließen, ist in Befragungen nach dem Krieg offengeblieben.43 Im Rückblick schrieb Dore über dieses nicht nur von Ängsten bestimmte Warten auf das Kriegsende: „Das trotz aller kleinen Nöte und großen Schicksale von Wesentlichem erfüllte und auf Übergeordnetes gerichtete Zusammenleben im letzten Kriegsjahr gab allen, die es miterlebten, ein Gefühl tiefer Verbundenheit und Zuversicht. Alles war Vorbereitung auf einen neuen Anfang, auf den wir hoffnungsvoll hinlebten.“44
Neubeginn mit Enttäuschungen
Im Herbst 1945 baute Dore Jacobs ihre Körperbildungsarbeit in Wuppertal auf, bevor sie ab 1947 wieder im Essener Blockhaus unterrichtete. Dore und ihre Mitstreiter:innen knüpften erneut (nicht immer ganz reibungslose) Verbindungen zu Volkshochschulen in der Region.45 Ihre Bildungsambitionen suchten sie nun unter dem Namen „Der Bund – Volkshochschulkreis e.V.“ zu verwirklichen.46 Es war geradezu selbstverständlich, dass sogleich Kurse für Hörerinnen stattfanden wie „Not und Aufgabe der Frau nach 12 Jahren Hitler-Zeit“ 1946 in der VHS Wuppertal, „Die Aufgabe der Frau im neuen Deutschland“ 1948 in Langenberg oder „Organische Gymnastik und Bewegungsschulung für Frauen“ 1948/49 in Mülheim.
Dore Jacobs´ ganzheitlich verstandene, vielen noch aus der Vorkriegszeit bekannte Gymnastik fand Zuspruch bei Erwachsenen wie in der jüngeren Generation, bei Laien und zukünftigen Gymnastiklehrer:innen. Die über 50-jährige, gesundheitlich geschwächte Dore blieb Lehrerin an der Schule, übergab die Leitung aber bald an ihre ehemalige Schülerin und Freundin Lisa Jacob (1899–1989).47 Die „Bund“-Zielsetzungen traten seither in den Hintergrund, was auch mit der staatlichen Anerkennung als private Berufsfachschule und der Notwendigkeit (partei)politischer Zurückhaltung zu tun hatte.48 Die Nachfrage stieg und erlaubte es, Schülerinnen und Schüler auszuwählen. Im Lehrplan der dreijährigen Ausbildung fanden sich nun deutlicher als zuvor Fächer wie Gesundheitsbildung, Pädagogik und Staatsbürgerkunde, und das Berufsfeld schloss nach und nach soziale Bereiche ein. Lisa Jacob leitete die Schule bis 1970; ihr folgte Karin Gerhard, die von Dore Jacobs und Lisa Jacob unterrichtet worden war.49
Nach 1945 hielt Dore Jacobs, wie alle im „Bund“, an Sozialismusvorstellungen fest, ebenso an forcierter Gleichstellungspolitik. Hinzu kam die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, welche Unterstützungs- und Wiedergutmachungsprojekte im In- und Ausland einschloss. Auch nahm der Verein Gesprächskontakte auf zur SPD, zu den Jusos, zur FDP, der Arbeiterwohlfahrt, den Quäkern sowie anderen ihm nahestehende Organisationen. Aber der erwartete Aufbruch blieb aus. Das lag zum einen an einer geringeren Mitgliederzahl – einige nach 1933 Geflüchtete waren nicht zurückgekehrt –, zum anderen an internen Debatten über Form und Inhalt der zukünftigen Arbeit. Trotz vieler Bemühungen, an denen Dore Jacobs aktiv beteiligt war, nicht nur mit einem fast 100-seitigen „Aufruf an die Jugend“, blieb die Resonanz verhalten – bis auf Gottfried, ihren Sohn, hielten auch die „Bund“-Kinder Distanz. Die Nachgeborenen scheuten, wie zu hören war, das Einhalten strenger Gebote.50 Auch ältere Mitglieder wollten ihr Leben nun nicht mehr völlig von „Bund“-Gesetzen bestimmen lassen. „Es stellte sich schließlich heraus, dass die Jahre unter dem NS-Regime nicht, wie gehofft, das Vorspiel einer Führungsrolle gewesen war, die man in einer Nachkriegsgesellschaft anstrebte, sondern seine Schicksalsstunde.“51 Der „Bund“ existierte dennoch bis in die 1990er Jahre hinein in Essen und an anderen Orten. Die nun mehrheitlich aus Älteren bestehende Gemeinschaft veranstaltete unbeirrt Tagungen, knüpfte und pflegte Verbindungen, spendete für politische und soziale Institutionen.
Ein Mensch mit Prinzipien
Dore Jacobs verstarb am 5. März 1979 in Essen. Ihr Nachlass enthält Erinnerungstexte, in denen sie auf ein gelungenes und „sinnvolles“ Leben zurückblickt.52 Ohne Zweifel war sie, stets begleitet von ihren Freundinnen und Freunden, Vorreiterin selbstbestimmter Lebensformen. Schon im Jugendalter registrierte sie die Benachteiligung von Frauen und trat vehement für Gleichberechtigung, Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten ein. Sie hatte, wie alle im „Bund“, ein weltbürgerliches Politikverständnis, hielt Verbindungen beispielsweise nach Belgien, Palästina/Israel, Südafrika, in die USA, dort auch zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung, zur Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Die nach dem Krieg verfassten „Auslandsbriefe“ zeugen von diesen grenzüberschreitenden Kontakten. Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus bekämpfte Dore, solange ihr dies möglich war. Es gelang ihr, nachhaltige Strukturen zu schaffen: in mehreren Volkshochschulen, in der Jugendarbeit und vor allem an der Gymnastikschule, die lange nach ihrem Tod zu einem Essener Berufskolleg mit Körperbildungsschwerpunkt werden sollte und – ganz ihrer Denkrichtung entsprechend – Mädchen und Jungen aus allen Schichten Schulabschlüsse bis hin zur Hochschulreife ermöglicht.
In das Bild dieser schöpferischen Frau gehört auch ein aus heutiger Sicht irritierendes Elitekonzept, ein Denken in „organischen Rangordnungen“. Dore Jacobs schwebte einerseits eine klassenlose Gesellschaft vor, andererseits schrieb sie dem von strikten Regeln und hohen Ansprüchen getragenen „Bund“ eine Avantgardefunktion gegenüber den erwähnten Zielgruppen zu. Diese sollten nichts weniger als den Vorkämpfern reflektiert und bewusst nacheifern. Auch intern hat sie eine „klare Hierarchie“ (Mark Roseman) mitgetragen. Ausdruck fand diese in jenem „inneren Kreis“, bestehend aus den Gründer:innen und zentriert um Artur Jacobs. Dessen Autorität stellte, soweit bekannt, niemand infrage; er blieb bis in die 1960er Jahre hinein tonangebend in der Auseinandersetzung mit Gegenwartsfragen und in der Vorbereitung politischer wie lebensweltlicher Entscheidungen, die in allen Gruppen jeweils ausführlich diskutiert, nicht aber zur Abstimmung gebracht wurden. In diesem Sinn lehnte Dore das in anderen (linken) Zusammenschlüssen herrschende Prinzip der Mehrheitsentscheidung als „demokratische Gleichmacherei“53 ab. Widersprüchlichkeiten wie diese stellen ihr leidenschaftliches Engagement beim „Bau einer besseren Welt“, das bis in die Gegenwart ausstrahlt, schließlich nicht in Frage.
Erinnern, Lernen, Spurensuche
Dore Jacobs sei in ihrer Heimatstadt kaum bekannt, schrieb Mark Roseman vor zwei Jahrzehnten.54 Das sollte sich inzwischen geändert haben, denn neben anderen Autorinnen und Autoren stiftete er selbst mit imponierenden Veröffentlichungen Aufmerksamkeit für die „Bund“-Geschichte.55 Auch hat die Essener VHS bei verschiedenen Anlässen an die Kursleiter:innen aus dem „Bund“ erinnert und sie gewürdigt.56 Als wichtiger Multiplikator kann in diesem Zusammenhang das Dore-Jacobs-Berufskolleg gelten. Wer die Namensgeberin war und dass die Ausbildung mit den Schwerpunkten „Bewegung, Sport, Gesundheit“ auf Dores Pädagogik zurückgeht, erfahren die Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Projektwochen oder Lerneinheiten. Eine Vielzahl von ihnen wird vermutlich nach einem berufsqualifizierenden Abschluss in entsprechenden Tätigkeitsbereichen etwas von dem erworbenen Wissen weitergeben. Für tiefergehende Einblicke in Dore Jacobs Lebenszusammenhang liegen Bücher und Aufsätze vor, vielfach von ihr selbst verfasst. Die Hinterlassenschaften umfassen ebenso Briefe, Broschüren und autobiographische Texte. Einen großen Schatz davon verwahrt die Alte Synagoge/Haus jüdischer Kultur in Essen. Archivalien finden sich darüber hinaus im Stadtarchiv/Haus der Essener Geschichte sowie im Dore-Jacobs-Haus in der Leveringstraße 30, das zu einem auratischen Erinnerungsort geworden ist.57 Auch Dore Jacobs´ langjährige Wohngemeinschaft mit Ehemann Artur, Sohn Gottfried und „Bund“-Mitgliedern wird im unzerstörten Gebäude Am Dönhof 18 vorstellbar. Und obwohl das ansehnliche, 1905 erbaute Haus in der Schubertstraße 11 nach dem Zweiten Weltkrieg durch einen schlichten Neubau ersetzt wurde: ein Spaziergang im Moltke- und Südviertel veranschaulicht, in welchem Umfeld die Geschwister Marcus aufwuchsen, auch die Nachbarschaft zur befreundeten Familie Levy in der Moltkestraße 28. Dore Jacobs´ letzte Ruhestätte auf dem Essener Südwestfriedhof allerdings existiert seit einigen Jahren nicht mehr.
Dr. Heidi Behrens
- Berta Marcus, geb. Auerbach (1869–1918), gehörte 1902 zu den Gründerinnen des Vereins „Frauenwohl“, sie setzte sich u.a. zusammen mit Frida Levy (1881–1942) für Mädchenbildung und die Gleichstellung von Frauen ein. Siehe zu Frida Levy den Beitrag von Susanne Abeck: https://www.frauenruhrgeschichte.de/frg_biografie/frida-levy/ [02.01.2023] sowie Hülskemper-Niemann, Ludger, Für Frieden und Gerechtigkeit. Frida und Fritz Levy und ihre Kinder – zwei Essener Biographien, Essen 2018, S. 15–18.
- Damals hatte Essen keine „höhere Mädchenanstalt“, die den Zugang zur Universität ermöglichte. Als das seit längerem geplante Oberlyzeum mit der Berechtigung zur Erlangung der Reifeprüfung errichtet war, wurde die Mädchenklasse von der Viktoriaschule aufgenommen. Siehe hierzu https://www.goetheschule-essen.de/PDF/Goetheschule_Geschichte_1899_1944.pdf[19.01.2023].
- Brimmer-Brebeck, Angelika, Frauen im jüdischen Milieu. Essener Jüdinnen von 1850–1932, in: Alte Synagoge (Hg.), Jüdisches Leben in Essen 1800–1933, Essen 1993, S. 73–102, hier S. 78.
- Der Schweizer É. Jaques-Dalcroze entwickelte die rhythmisch-musikalische Gymnastik und wirkte nicht nur in Dresden, siehe: https://www.deutsche-biographie.de/sfz37009.html [01.01.2023].
- Dore Jacobs, Erinnerungen o. J., S. 3, Archiv Alte Synagoge, AR 8685.
- Erinnerungen von Dore Jacobs, nach Aufzeichnung von Dore Jacobs, in: Schröter, Hermann, Geschichte und Schicksal der Essener Juden, Essen 1980, S. 186–192, hier S. 189 f.
- Über die Gruppenleiter Kurt Moosberg, Robert Marcus und Karl Cohen Krycler, Benno, Meine Erinnerungen an die jüdische Jugendbewegung „Blau-Weiß“ in Essen, in: Das Münster am Hellweg, 36 (1983), 1/2, S. 129–139, hier S. 129.
- Vgl. Dore Jacobs´ sechsseitiger, handschr. Text, Archiv der Alten Synagoge, AR 7439, S. 6.
- Erinnerungen von Dore Jacobs, in: Schröter, Geschichte und Schicksal, S. 190; siehe auch Kaufmann, Uri, Jüdische Jugendbewegungen in Essen 1919–1938, in: Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, 133 (2020), S. 274–288, hier S. 283; Brimmer-Brebeck, Frauen im jüdischen Milieu, S. 96 ff.
- Zum Gruppenleben und zu einzelnen Mitgliedern Krycler, Meine Erinnerungen an die jüdische Jugendbewegung.
- Die Namensgebung variierte, siehe Reichling, Norbert, Artur und Dore Jacobs, der „Bund“ und die Essener Volkshochschule, in: Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, 132 (2019), S. 257–268, hier S. 259.
- Die Essener VHS gab es (wie die meisten anderen) seit 1919. Zur „Freien Gruppe“ Reichling, Artur und Dore Jacobs; Großbröhmer, Rainer/ Kirch, Karin, Von Bildungsbakterien und Volkshochschulepidemien. Ein Beitrag zur Geschichte der Volkshochschule Essen 1919–1974, Essen 1994, S. 33 ff.; S. 61 ff.
- Vgl. Grüter, Monika, Der „Bund für ein sozialistisches Leben“. Seine Entwicklung in den 20ger Jahren und seine Widerständigkeit unter dem Nationalsozialismus. Hausarbeit an Universität/Gesamthochschule Essen 1988, S. 36.
- „Gesetze“ (4 S., o. J.) befinden sich im „Bund“-Archiv im Essener Dore-Jacobs-Haus.
- Der Bund. Orden für sozialistische Politik und Lebensgestaltung, 1929, S. 46 (= Schriften des Bundes 2–4).
- Dore Jacobs´ Vater war Kantforscher gewesen, auch Artur Jacobs hatte Kants Schriften studiert; zum politisch-philosophischen Hintergrund Lübben, Gerd, Auf schmalem Grat. Für ein Lernen und Wachsen aus dem Geist der Wahrheit, der Kunst und der Menschlichkeit. Annäherungen an den Pädagogen Artur Jacobs – auch mit Blick auf den Philosophen Ernst Marcus und die Bewegungsbildnerin Dore Jacobs, geborene Marcus.; in: „DIE BRÜCKE. Forum für antirassistische Politik und Kultur“, 147 (2008), S. 54 ff.
- Vgl. Der Bund. Orden für sozialistische Politik und Lebensgestaltung, S. 32 ff.
- Jacobs, Dore, masch.schr. Manuskript „Gelebte Utopie“, o. J. [1975], S. 28, Privatarchiv H. Behrens; weitere Ausführungen ebd.
- Lange über 1924 hinaus bestand dieses Kartell jedoch nicht, siehe Behrens-Cobet, Heidi, Abschiede vom Proletariat? Lebenslagen und Bildungsgeschichten ehemaliger Mitglieder der Essener SAJ, Bonn 1996, S. 125 f.
- Die Freie Schule Rellinghausen war eine der durch die Weimarer Verfassung ermöglichte konfessionslose Volksschule mit reformpädagogischem Anspruch, siehe Bramesfeld, Else u. a. (Hg.), Gelebte Utopie. Aus dem Leben einer Gemeinschaft, Essen 1990, S. 80–82 (überarb. gleichnamiges Manuskript von Dore Jacobs). In Essen gab es seit 1923 17 Freie Schulen; sie wurden 1934 vom NS-Regime geschlossen, dazu Behrens-Cobet, Heidi/ Schmidt, Ernst/ Bajohr, Frank, Freie Schulen. Eine vergessene Bildungsalternative, Essen 1986.
- Zu Problemen und Erfolgen Bramesfeld u. a., Gelebte Utopie, S. 80 ff.
- Gymnastikkonzeptionen in Jacobs, Dore, Das Ringen der Zeit um körperseelische Erneuerung. Kritischer Überblick und Versuch einer organischen Gliederung der wichtigsten Systeme künstlerischer Körperbildung, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, 15 (1923), 6, S. 401–420.
- Erinnerungen von Dore Jacobs, in: Schröter, Geschichte und Schicksal, S. 190.
- Vgl. Jacobs, Dore, Werdegang der Schule, in: 45 Jahre Bundesschule für Körperbildung Essen, Essen Stadtwald o. J., S. 7–13, hier S. 9; Festschrift Dore-Jacobs-Schule. Berufsfachschule für Gymnastik Essen 1925–1990, zus. gest. von Gerhard, Karin/ Zierold, Mareile, Essen 1990; Großbröhmer, Rainer, Dore Jacobs – ein Leben in Bewegung. Die Gymnastikarbeit von Dore Jacobs an der Volkshochschule Essen, in: Gerhard, Karin/ Schierenberg, Ingrid (Hg.), Dore Jacobs 1894–1994, Essen o. J., S. 45–53.
- Körperbildung im Industriegebiet. Werden und Wollen der Bundesschule für Körperbildung und rhythmische Erziehung, Essen-Stadtwald 1927 (= Schriften des Bundes 1). – Dore Jacobs war die Eigentümerin des Holzhauses.
- Siehe z. B. VHS-Verzeichnisse aus den 1920er und Essener Adressbücher aus den 1930er Jahren. Wohngemeinschaften von „Bund“-Mitgliedern, sog. „Bundhäuser“, entstanden auch in Wuppertal, so Dore Jacobs im masch.schr. Manuskript von Gelebte Utopie, S. 88, ab 1943, nach der Zerstörung des Wuppertaler Hauses, in Meersburg am Bodensee.
- Jacobs, Dore, Werdegang der Schule, in: Gerhard/ Schierenberg, Dore Jacobs, S. 7–15, hier S. 11; zu ihrer Theorie auch dies., Die menschliche Bewegung, Düsseldorf 1962.
- Vgl. Bramesfeld u. a., Gelebte Utopie, S. 10; Bemühungen sind nachzulesen in: Behrens-Cobet, Heidi/ Reichling, Norbert, „Umbau des ganzen Lebens“. Frauenbildung und Geschlechterfragen in der sozialistischen Bildungsgemeinschaft Bund, in: Ciupke, Paul/ Derichs-Kunstmann, Karin (Hg.), Zwischen Emanzipation und ‚besonderer Kulturaufgabe der Frau‘. Frauenbildung in der Geschichte der Erwachsenenbildung, Essen 2001, S. 149–166, hier S. 152 ff.
- Siehe Junge und Mädchen in der proletarischen Jugendbewegung, Essen-Stadtwald 1932, S. 7 ff. (= Die Bresche 4); zu VHS-Veranstaltungen Reichling, Artur und Dore Jacobs, S. 265; Großbröhmer, Dore Jacobs, S. 45–53.
- Behrens-Cobet/ Reichling, „Umbau des ganzen Lebens“, S. 155 f.
- Weshalb braucht die Frau einen Beruf? Essen-Stadtwald 1932, S. 18 (= Die Bresche 5), [Zitat im Original teils gesperrt].
- Mann und Frau als Kampfgenossen, Essen-Stadtwald 1932, S. 32 (= Schriften des Bundes 6). Diskutiert wurde auch ein Urtext des Feminismus, Mathilde Vaerting, Die weibliche Eigenart im Männerstaat und die männliche Eigenart im Frauenstaat, Karlsruhe 1921, als Raubdruck Berlin 1974.
- Landesarchiv NRW, Gestapo-Personalakten, RW 58-19223, Dr. Artur Jacobs, Bl. 19; Roseman, Mark, ÜberLeben im Dritten Reich, Göttingen 2020, S. 91 ff.; zu den Bedrohungen der „Bund“-Mitglieder auch Roseman, Mark, „Du bist nicht ganz verlassen“. Eine Geschichte von Rettung und Widerstand im Nationalsozialismus, München 2020, S. 46 ff.
- Dafür bot das berüchtigte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 die Grundlage.
- Zu Gottfried (Friedl) Jacobs (1918–1978) siehe Roseman, „Du bist nicht ganz verlassen“.
- Dore Jacobs, Werdegang der Schule, in Gerhard/ Schierenberg, Dore Jacobs, S. 7–15, hier S. 11.
- Roseman, Mark, In einem unbewachten Augenblick. Eine Frau überlebt im Untergrund, Berlin 2002, S. 98, gestützt auf Erinnerungen von Lisa Jacob und Ellen Jungbluth.
- So im Frühjahr 1940 in der Straße Am Dönhof, Vernehmungsprotokoll Lisa Jacob, Staatspolizeistelle Düsseldorf vom 1. März 1940 (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, RW 58, Nr. 1595). Zu Denunziationen und Gefährdungen Roseman, Mark, Ein Mensch in Bewegung, in: Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, 114 (2002), S. 73¬108, hier S. 98 ff.; ders., ÜberLeben im Dritten Reich, S. 91 ff.
- Vgl. Roseman, ÜberLeben im Dritten Reich, S. 111. Else Bramesfeld (1896-1994) gehörte zu den Gründerinnen und damit zum „Inneren Kreis“ des Bundes. In den 1980er Jahren erinnerte sie sich in einem mehrstündigen Video-Interview u. a. an die Jahre 1933 bis 1945: „Wir haben widerstanden“. Essener Frauen im antifaschistischen Widerstand. Ein Film von Monika Grüter, Brigitte Hendricks und Tamara Frankenberger (Medienzentrum Ruhr 1987). Eine digitalisierte Fassung von Tom Briele findet sich hier als Download. Mündliche Aussagen von Bund-Mitgliedern auch in einem Radiobeitrag von Ruth Kotik, Ein Vorläufer alternativer Lebensformen. Der Bund – Gemeinschaft für sozialistisches Leben, WDR3, 16.11.1984, Sendemanuskript im Havemann-Archiv: https://www.havemann-gesellschaft.de/fileadmin/robert-havemann-gesellschaft/archiv/nachlaesse/L/Doris_Liebermann_Findbuch.fb.pdf [03.01.2023].
- Vgl. Roseman, In einem unbewachten Augenblick, S. 100.
- Ellenbogen, Marianne, Flucht und illegales Leben während der Nazi-Verfolgungsjahre 1943-45, in: Das Münster am Hellweg, 37 (1984), 1, S. 135–142; Roseman, In einem unbewachten Augenblick; ders., „Du bist nicht ganz verlassen“, S. 328 ff.; Reichling, Norbert, Mit Kant gegen die Nazis. Der „Bund“ und sein vergessenes „Judenhilfswerk“ im Rhein-Ruhr-Gebiet, in: Lustiger, Arno (Hg.), Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, Göttingen 2012, S. 59–63; Kern, H. Walter: Stille Helden aus Essen. Widerstehen in der Zeit der Verfolgung 1933-1945, Essen 2014, insb. S. 33-43. – Yad Vashem ehrte nach mehreren vergeblichen Anläufen im Jahr 2005 einige Bundmitglieder als „Gerechte unter den Völkern“.
- Kern, H. Walter, Der „Mischehe“-Transport aus Essen 1944. Verfolgung und Widerstehen in der Endphase des Krieges. Untergetauchte und ihre Helfer/innen, Essen 2019, S. 20 f.
- Roseman, „Du bist nicht ganz verlassen“, S. 229 ff., zu Denunziationen und Dores riskanten Camouflagen ebd.
- Jacobs, masch.schr. Manuskript Gelebte Utopie, S. 89.
- Dem damaligen Leiter der VHS Essen war der Bund unbekannt, er reagierte zunächst ablehnend, siehe den Briefwechsel Dore Jacobs/VHS Essen (ca. 1953) im „Bund“-Archiv.
- Der VHS-Kreis des Bundes wurde 1955 nach dem Volksbildungsgesetz als Bildungseinrichtung anerkannt.
- Auch Lisa Jacob hatte ihre Rettung Bund-Mitgliedern zu verdanken, siehe Jacob, Lisa, „Der Bund“ Gemeinschaft für sozialistisches Leben und meine Errettung vor der Deportation, in: Das Münster am Hellweg, 37 (1984), S. 105–134; Roseman, ÜberLeben im Dritten Reich, S. 105 ff.; Angela Genger, Zwei die sich retten konnten. Hilfe vom Bund für Marianne Strauß und Lisa Jacob aus Essen. In: Kosmala, Beate/ Schoppmann, Claudia (Hg.), Sie blieben unsichtbar. Zeugnisse aus den Jahren 1941 bis 1945, Berlin 2006, S. 91–103.
- Die Schule wurde 1953 als private Berufsfachschule anerkannt.
- Karin Gerhard übte diese Funktion bis 2004 aus; sie hat Dore Jacobs und viele andere „Bund“-Mitglieder noch gekannt. 1986 gab sie dem Haus den Namen Dore-Jacobs-Schule.
- Reichling spricht von einem „Abklingen der aktiv-politischen Seite des Bundes“ seit den 1950er Jahren, siehe Reichling, Artur und Dore Jacobs, S. 267, zu den krisenhaften Erscheinungen auch Roseman, „Du bist nicht ganz verlassen“, 284 ff.
- Roseman, „Du bist nicht ganz verlassen“, S. 292.
- So in Jacobs, Erinnerungen, S. 5.
- Jacobs, Dore, Zur Frage der Kollektiventscheidung, in: Freie sozialistische Jugend, Heft 9/10 (1928), S. 103–105, hier S. 105; zu Hierarchien im Bund auch Roseman, Ein Mensch in Bewegung, S. 94; ders., „Du bist nicht ganz verlassen“, S. 284 ff.; ders., ÜberLeben im Dritten Reich, S. 112 f.
- Roseman, Ein Mensch in Bewegung, S. 73.
- Mark Rosemans Veröffentlichungen und Vorträge haben mein Interesse am „Bund“ wesentlich verstärkt. Bei Tamara Frankenberger, H. Walter Kern, Norbert Reichling und Martina Strehlen bedanke ich mich für Gespräche und vielerlei Informationen. Karin Gerhard, der ehemaligen Leiterin der Dore-Jacobs-Schule, habe ich für ihre Bereitschaft zurückzublicken, für Hinweise und für Leihgaben zu danken.
- Zuletzt zum 100jährigen Bestehen: Reichling, Norbert, Artur und Dore Jacobs, der „Bund“ und die Essener Volkshochschule, Vortrag am 10. April 2019 in der Essener VHS, gedruckt Reichling, Artur und Dore Jacobs.
- Das seit 2000 bestehende Dore Jacobs-Berufskolleg in Altenessen-Süd nutzt das Blockhaus als zusätzlichen Trainings- und Lernort; auf seiner Website wird an die Schulgründerin erinnert: https://www.djhaus.de/raeume/ [03.01.2023]. Am Tag des Offenen Denkmals kann das Haus besichtigt werden.
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