Christa Bäcker wurde 1936 in Berlin geboren. Sie wächst sie mit zwei jüngeren Schwestern in Dresden und ab 1950 in Bethel auf. 1952 stirbt der Vater mit 48 Jahren. Aus finanziellen Gründen studiert sie Lehramt für die Volksschule statt Germanistik und arbeitet während der Semesterferien mal in der Textilindustrie, mal im Weinberg, dann in der chemischen Industrie oder am Fließband.
1960 kommt sie als junge Volksschullehrerin nach Castrop-Rauxel. Sie nimmt am Projekt zur Erprobung des 9. Schuljahres teil, ihre schönste Zeit in der Volksschule, weil sie Lehrpläne selbst entwickeln, ausprobieren und mit anderen reflektieren kann. Im neuen Fach „Arbeitslehre“ kommen ihr die Erfahrungen in der Arbeitswelt zu gute.
Als sie ihren Mann kennen lernt, gewinnt er sie für die Heilpädagogik. Nach dem Zusatzstudium unterrichtet sie in Recklinghausen an der Jahnschule, einer Sonderschule für Lernbehinderte. Mit den Lernbehinderten lernt sie, ihre Anliegen einfach und klar zu formulieren, so dass auch Menschen mit anderen Erfahrungen sie verstehen können. Ihr Blick für Benachteiligte schärft sich.
Beim Schulreferat des Evangelischen Kirchenkreises, der sieben von zehn Städten des Landkreises Recklinghausen umfasst, findet sie Unterstützung und Material für ihren Schwerpunkt „Ev. Religion an der Sonderschule“. Sie lässt sich für den von Männern dominierten Schulausschuss gewinnen und übernimmt später als erste Frau die stellvertretende Leitung. Kommentar der Männer:„Eine Frau, das müssen wir doch mal versuchen.“
1983 wird sie als einzige Frau mit überwältigender Mehrheit in das achtköpfige Leitungsgremium des Kirchenkreises – in den Kreissynodalvorstand – gewählt. Wenn sie das Wort hat, unterhalten sich die Männer oder belächeln sie, denn man erwartet Ansehen durch eine Frau, nicht ihre Ansichten. Durch ihren Einsatz sitzen nach fünf Jahren drei Frauen im Kreissynodalvorstand, eine davon wird Stellvertreterin des Superintendenten. In vielen kleinen Schritten mit vielen Menschen strickt sie an vielen Orten am Netzwerk Frauen, für sie eine Grundlage für die gleichberechtigte Gemeinschaft von Männern und Frauen.
So initiiert sie Mitte der 80er Jahre in ihrem Stadtteil den Frauenkreis Kirche, 1991 folgt das Ökumenische Frauenfrühstück. Sie lässt nicht locker, bis Termine, Themen und Referentinnen für die monatlichen Treffen verabredet sind. Dann vertraut sie den jeweils Verantwortlichen.„Nach jedem Treffen fühle ich mich thematisch und persönlich bereichert – auch durch die Lieder und Gedichte, die Christa immer mitbringt“, blickt eine Mitwirkende auf über 20 Jahre zurück.
Für Christa Bäcker erschöpft sich die Ökumene nicht in der Zusammenarbeit mit katholischen Frauen. Sie öffnet den Blick für die weltweiten Zusammenhänge. Frauen des Ökumenischen Frühstücks gründen einen Eine-Welt-Kreis, der regelmäßig fair gehandelte Produkte verkauft. Als eine Frauendelegation aus Tansania den Kirchenkreis besucht, nutzen sie die Chance zu intensiven Begegnungen und zum Austausch über die Lebensbedingungen in Tansania.
Da Leben Höhepunkte braucht, nehmen die Frauen die Idee, jährlichen einen Frauentag zu feiern, begeistert auf. Er wird zum Experimentierfeld für neue Formen der Spiritualität und des Feierns. Der Frauentag spricht auch Frauen an, die wenig Zeit haben. Christa Bäcker sorgt für die Zeit zur intensiven Vorbereitung: Inhalte und Formen werden gemeinsam ausprobiert und ausgewählt.
1987 beruft der Superintendent auf Betreiben von Christa Bäcker und zwei Pfarrerinnen die erste kreiskirchliche Frauenversammlung ein. Die 150 Frauen verabreden weitere Treffen. 25 Jahre lang lädt Christa Bäcker monatlich zum Arbeitskreis Frauen ein, um kirchenkreisweit Frauenthemen zu beraten und den Beschluss der Synode – das kirchliche Parlament – zum Frauenreferat vorzubereiten.
Sie vertritt die evangelischen Frauen im Recklinghäuser Frauenplenum und beim Neujahresempfang der Frauenberatung, wenn keine andere diese Aufgabe wahrnehmen kann.
Im Herbst 1991 nehmen die ersten beiden Frauenreferentinnen ihre Arbeit auf. Christa Bäcker übernimmt den Vorsitz des neuen Frauenbeirats und organisiert ergebnisorientierte Sitzungen. Wie eine mütterliche Freundin begleitet sie die beiden Frauen: sie fragt, berät und unterstützt. Sie teilt ihr Wissen und ihre Erfahrungen, wenn es gewünscht ist und der Aufgabe nutzt. Als das Frauenreferat vorübergehend nicht besetzt ist, übernimmt Christa Bäcker die Redaktion für den Frauenrundbrief im Evangelischen Kirchenkreis.
Zwischen dem Tod des beliebten Superintendenten 1994 und dem Antritt des Nachfolgers 1996 leitet zum ersten Mal eine Frau den Evangelischen Kirchenkreis. Ihr Leitungsstil entspricht nicht immer den Vorstellungen von Kirchenleitung und Gemeinden. In dieser Zeit der Trauer, Enttäuschungen, Kritik und Klärungen steht besonders Christa Bäcker der Stellvertreterin freundschaftlich mit Rat und Tat zur Seite, hört zu und stärkt.
Christa Bäcker scheut keine Verantwortung. Als Synodale sitzt sie in der westfälischen Landessynode (1992-1998) und in deutschlandweiten Synoden (1984-1996). Sie bereitet sich mit anderen Frauen auf die überregionalen Synoden vor und regt solche Treffen auch für die Kreissynoden in Recklinghausen an. Sie erlebt die Wiedervereinigung als Synodale der Evangelischen Kirche von Deutschland (EKD) intensiv in Begegnungen und Gesprächen mit einigen ostdeutschen Frauen und in den Auseinandersetzungen um die Struktur der Evangelischen Kirche von Deutschland. Sie teilt ihre Erfahrungen mit, lädt eine der Frauen als Referentin nach Recklinghausen ein und organisiert Spurensuche-Reisen nach Ostdeutschland. Bei einer Reise entdeckt sie im Kloster Helfta den Stein des deutschlandweiten ökumenischen Frauen-Projekts „Wer wird den Stein wegrollen?“ Dieser Stein rollte im April 2000 durch Recklinghausen. Viele haben ihn als ein Symbol für befreiende Erfahrungen erlebt.
In der EKD-Synode ergreift sie als Nicht-Theologin das Wort für die Gründung des Frauenstudien- und Bildungszentrums und für die Errichtung eines Lehrstuhls für Feministische Theologie, nachdem ein von ihr geschätzter Theologieprofessor den Lehrstuhl für überflüssig erklärt hatte. In der Landessynode fordert sie die Würdigung des Ehrenamtes durch bezahlte Fortbildung, Kostenerstattung und Anerkennung des Ehrenamtes bei der Rentenberechnung.
Als engagierte Christin möchte sie beitragen zur „Gemeinschaft der Gläubigen“, die sie als Teil der weltweiten Gemeinschaft sieht.„Die besten Ideen entstehen erst in der Zusammenarbeit“ der unterschiedlichsten Menschen. Deshalb wirbt sie in Gremien, Arbeitskreisen und bei den Frauentagen um gemeinschaftliches Handeln in vielen kleinen Schritten: 1985 für das Streichen der Anrede „Fräulein“ in Anschreiben des Kirchenkreises, dann für den gegenseitigen Segen am Ende eines Treffens zur Vertiefung der Gemeinschaft. Sie sucht die einander stärkende Gemeinschaft von Frauen und Männern, die offen ist für die Fragen der Zeit wie den Dialog mit jüdischen und muslimischen Frauen. Sie besucht mit kirchlichen Frauen die Synagoge in Recklinghausen und eine Moschee und lädt jüdische und muslimische Frauen zu den Frauentagen am Quellberg und in den Kirchenkreis ein.
Christa Bäcker macht keine Alleingänge. Sie stellt sich in den Dienst der gewählten Aufgaben, wirbt für ihre Vorstellungen, bis sie zur gemeinsamen Idee werden. Bei persönlichem Klatsch macht sie die Ohren zu. Aber sie lässt sich begeistern von allen Einfällen, die die Gemeinschaft fördern.
Liesel Kohte / Arbeitskreis Recklinghäuser Frauengeschichte
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