Obwohl Anna von Palandt vor über 450 Jahren lebte, können wir uns auch heute noch einen sehr lebendigen Eindruck vom Aussehen dieser niederadligen Frau der Renaissance verschaffen. Ermöglicht wird das durch ein Porträt des 16. Jahrhunderts, das sie uns in nahezu fotografischer Präzision als Gattin ihres Ehemanns Rutger von der Horst darstellt. Das Gemälde ist Teil eines Eheporträts, das aus zwei einzelnen, gleich großen Bildern besteht, die in der Bildgestaltung und im Bildaufbau aufeinander bezogen sind. Bemerkenswert ist die detaillierte Wiedergabe der individuellen Gesichtszüge und der Hände, die durch den dunklen Hintergrund deutlich hervorgehoben werden. Diese Art der Persönlichkeitsdarstellung weist das Ehepaar als Menschen der Renaissance aus. Ohne Frage handelt es sich dabei um eine inszenierte Selbstdarstellung, die Rückschlüsse auf die Erbauer des Schlosses Horst zulassen.
Schon auf den ersten Blick ist die gleichberechtigte Darstellung beider Personen augenfällig. Hier begegnen sich zwei Individuen, die aber doch in ihrer ganzen (Körper-)Haltung und Erscheinung miteinander verbunden sind. Kleidung und Schmuck weisen bei beiden gleichermaßen auf einen gediegenen Wohlstand hin. Bei Anna von Palandt lassen ein schwarzes Oberkleid aus Goldbrokat mit Spitzenbesätzen sowie wertvoller Schmuck auf eine selbstbewusste adlige Haltung schließen. Es tritt uns eine Frau entgegen, die sich ihrer Wirkung und ihrem Anspruch sehr sicher ist und die nicht nur auf dem Eheporträt, sondern auch im Leben, ihrem Mann zur Seite gestanden haben dürfte. Dieser Eindruck wird durch die Bildinschrift unterstützt, die sie als „(…)Fraw zur Horst / Marschalckin (…)“ ausweist.
Anna von Palandt zu Zelm und Issum entstammte einem niederrheinischen landsässigen Adelsgeschlecht. Annas Vater, Elbert von Palandt, war seit 1533 Erbmarschall, die Mutter, Elisabeth von der Horst, war die Tochter und Erbin des klevischen Erbmarschalls Wilhelm von der Horst und Belia von der Loe. Dass zumindest die Mutter vermögend war, geht unter anderem aus dem Testament hervor, das sie verfügte. Ihr Schwiegersohn erhielt 500 Goldgulden und weitere 500 Goldgulden sollten an den Enkelsohn Johan aus der zweiten Ehe Annas gegeben werden. Der eigenen Tochter hinterließ sie Kleider und Kleinodien. Besonders erwähnt wurden ein Bändchen mit Perlen und Steinen und ein Engelchen mit Steinen. Das waren anscheinend Gegenstände mit hohem (Erinnerungs-)Wert. Anna von Palandt kam also aus einer Familie von hohen Amtsträgern, die sich ihrer Stellung durchaus bewusst waren.
Das genaue Geburtsdatum Anna von Palandts ist uns nicht überliefert und kann nur durch die Eheschließung der Eltern und ihrer eigenen ersten Eheschließung gefolgert werden. Damit scheint sie in den Jahren zwischen 1508 und 1516 geboren zu sein. Auch ist über ihre Kindheit und Jugend nichts bekannt. Es darf aber angenommen werden, dass sie eine frühe Ausbildung in Lesen und Schreiben erhielt. Das war für adlige Frauen durchaus selbstverständlich. Vermutlich wird sie zunächst zusammen mit ihren beiden Brüdern bei einem Hauslehrer unterrichtet worden sein. Für die Jungen war es anschließend üblich, eine Lateinschule und später eine Universität zu besuchen. Für die Mädchen war ein Aufenthalt bei Verwandten üblich, um dort auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet zu werden. Dazu gehörten alle Bereiche, um ein herrschaftliches Haus zu führen: etwa Verwaltungsaufgaben wie die Erstellung eines Inventars zur Überprüfung des Besitzstandes oder die Kontrolle der Haushaltsgelder. Auch die Kontrolle des Haushaltes gehörte dazu. Neben den haushalttypischen Aufgaben musste auch die Aufsicht über das weibliche Hofpersonal gewährleistet werden. Zu all diesen Aufgaben gehörten selbstverständlich auch die der Repräsentation dazu.
Erst der Heiratsvertrag mit Heinrich von Wylich vom 4. März 1532 lässt Anna von Palandt aus dem Dunkel der Geschichte treten. In diesem Vertrag wurde zum einen die Höhe ihrer Mitgift auf 4.500 rheinische Goldgulden festgeschrieben und zum anderen die Zahlungsmodalitäten geregelt. Am gleichen Tag wurde ein Zusatzvertrag zwischen dem Ehemann Heinrich von Wylich und dem Vater der Braut, Elbert von Palandt, aufgesetzt. In diesem verzichtete Anna von Palandt sowohl auf den väterlichen und mütterlichen Erbteil als auch auf den zu erwartenden Erbteil der Großmutter Belia von der Loe. Am 16. März 1534 wurde die Leibzucht (Witwenunterhalt) Anna von Palandts vertraglich geregelt, falls sie ihren Ehemann Henrich von Wylich kinderlos überleben würde. Durch ihre Ehe mit Henrich von Wylich besaß sie Güter zu Rossau, Aspel und Ostendorf bei Haldern bei Rees. Aus dieser zehn Jahre dauernden Ehe gingen insgesamt fünf Kinder hervor: Johann, Wilhelm, Gertrud, Sybilla und Hendrina/Henrica. Sie sind zwischen 1533 und 1542 geboren. Ihr Mann Henrich von Wylich verstarb vermutlich vor dem Jahr 1543. Wo Anna von Palandt anschließend ihre Witwenzeit verbrachte, ist ebenfalls nicht überliefert.
In den Jahren zwischen 1547 und 1549 hat vermutlich ihre zweite Ehe mit Rütger von der Horst ihren Anfang genommen. Es ist nicht bekannt, wie es zur Heirat kam und wann diese stattfand. Auch ein Ehevertrag mit Rutger von der Horst und die Regelung einer Leibzucht ist nicht überliefert. Zwei gemeinsame Kinder, Johan und Margarethe, stammten aus dieser Ehe. Der Junge muss zwischen 1547/49 und 1554 geboren sein und seine Schwester Margarethe vor 1555. Zumindest eines der Stiefkinder wuchs auf Schloss Horst auf.
Dass diese zweite Ehe auch im Einverständnis mit der elterlichen Familie Anna von Palandts geschlossen worden sein muss, zeigt das bereits schon erwähnte Testament von Annas Mutter, Elisabeth von der Horst. Der Teil des mütterlichen Erbes, den sie ihrem Schwiegersohn zuerkannt hatte, scheint Rütger von der Horst zumindest in Teilen für Wiederherstellungsarbeiten an der Horster Burg verwandt zu haben. Auch dass sie dem gemeinsamen Sohn von Anna und Rütger das weitere Erbteil zusprach, spricht für eine Zustimmung zur zweiten Eheschließung.
Aus dieser zweiten Ehe stammt das wichtigste Erbe Anna von Palandts: das heute nur noch in Teilen erhaltene Renaissanceschloss Horst. Man kann davon ausgehen, dass sie dem Bau des Hauses nicht nur zugestimmt, sondern auch tatkräftig mit finanziellen Mitteln und eigener Initiative unterstützt hat. Dies geht aus den so genannten Bautagebüchern hervor, die Rütger von der Horst als Vertrags- und Abrechnungsbücher in den Jahren zwischen 1553 und 1573 führte. Hier ist immer wieder dokumentiert, dass Anna von Palandt auf der Horster Schlossbaustelle kontinuierlich Handwerker, Lieferanten oder Taglöhner bezahlte. „Hyrup myn Husfrowe ynen gegeven j. gl. rh.“ Mit immer ähnlichem Wortlaut vermerkte Rütger die Zahlungen. Seine Frau nennt er stets„myne husfrawe“. Ganz offensichtlich handelte Anna von Palandt selbständig und befugt. Gelder auszahlen und auch Leistungen auf dem„Kerffstock“ – dem Kerbholz – zu quittieren, lassen auf ein aktives Handeln an der Schlossbaustelle schließen. Weiterhin hat sie zusammen mit ihrem Ehemann dem Kaufmann Alff von Devesse einen Kredit in Höhe von 150 Talern gewährt. An dieser Stelle wird ihre finanzielle Unterstützung kenntlich.
Anna von Palandt war am Bau des neuen Schlosses unmittelbar beteiligt. Dass dies für eine Frau in ihrer Stellung nicht so ungewöhnlich war, zeigt vielleicht auch die Haltung ihrer Mutter, die bereits das„Haus zu Huessen unter großen Kosten hat herrichten lassen“.
Drei Jahre nach dem Tod ihres zweiten Mannes verstarb Anna von Palandt im Jahre 1585.
Trotz der vergleichsweise dünnen Überlieferung vermittelt das Leben Anna von Palandts einen Eindruck von den Aufgaben und Handlungshorizonten einer Adeligen zur Zeit der Renaissance. Zwei Ehen und die Geburt zahlreicher Kinder sprechen von einem bewegten Leben. Gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann verwirklichte sie mit dem Bau des Schlosses Horst den Repräsentationswunsch einer aufstrebenden Adelsfamilie der Renaissancezeit.
Dörte Rotthauwe/ Schloss Horst
Orte:Schloss Horst, Turfstraße 21, 45899 Gelsenkirchen
Literatur:Gonska, Klaus: Dat Hueß zor Horst: die Adelsfamilie von der Horst im Emscherbruch und ihre Erben im 16. und 17. Jahrhundert (Materialien zur Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland, Bd. 10), Marburg 1994, hier vor allem S. 46-60.
Kollbach, Claudia: Aufwachsen bei Hof: Aufklärung und fürstliche Erziehung in Hessen und Baden (Campus Historische Studien, Bd. 48), Frankfurt/Main, New York 2009.
Alshut, Elmar/Peine, Hans-Werner: Schloß Horst in Gelsenkirchen (Burgen, Schlösser und Wehrbauten in Mitteleuropa, Bd. 15), Regensburg 2006,
Peine, Hans-Werner/Kneppe, Cornelia: Haus Horst im Emscherbruch, Stadt Gelsenkirchen (Frühe Burgen in Westfalen, Heft 21), Münster 2004.
Klapheck, Richard: Die Meister von Schloß Horst im Broiche: das Schlusskapitel zur Geschichte der Schule von Calcar (Westfälische Kommission für Heimatschutz, Bd. 2), Berlin 1915.
Wunder, Heide: Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Ute Gerhard (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts: von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 27-54.
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