Das Vest Recklinghausen gilt im Ruhr-Lippe Raum als Hochburg der Hexenverfolgungen. Die aktuelle Forschung erklärt diesen Befund in regionalgeschichtlich vergleichender Perspektive mit spezifischen politischen Konstellationen im Kontext von religiösen, mentalen und klimatischen Krisenerfahrungen.
Nach der nachweislichen Verbrennung von drei „Wetterhexen“ im Jahre 1529 setzte in den Jahren 1580/81 eine Prozesswelle größeren Umfangs ein, bei der wenigstens 54 Frauen und Männer in ein Untersuchungsverfahren involviert waren. Für 44 von ihnen ist die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen belegt. Das Jahr 1543 brachte einen einzelnen Prozess, bei dem ein nicht namentlich genanntes „megdeken“ auf den Scheiterhaufen geschickt wurde. Eine zweite Verfolgungswelle verzeichnen die Stadtrechnungen in den Jahren 1588 bis 1595: Mindestens 45 Personen wurden der „toverie“ – der Hexerei – beschuldigt. 21 von ihnen erlitten den Henkerstod, zwei starben in der Haft und eine „zaubersche“ durch Selbstmord; das Schicksal der übrigen Angeklagten blieb undokumentiert. Am 15. Juli 1628 gestand die achtzigjährige Anna Koppers den Umgang mit dem Teufel in verschiedener Gestalt, das Feiern von wilden Festen, den Besitz von Hexensalbe sowie die Verleugnung Gottes und der Heiligen. Am 21. Juli wurde sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Im Jahre 1650 ereilte Anna Schornfeld, genannt Plumpe, aus Hochlar auf dem Scheiterhaufen das gleiche Schicksal. Zuvor hatte sie ihre Tochter Trine Plumpe als Hexe denunziert. Diese jedoch widerstand in beeindruckender Weise mehrfacher Folterung und gestand die ihr zu Last gelegten Verbrechen nicht, so dass sie nicht zum Tode verurteilt werden konnte. Sie wurde an den Pranger gestellt. Ein Prozess im Jahre 1652 gegen Grete Rumps aus Waltrop endete mit einer Verurteilung zur Ausstreichung mit Ruten und anschließender Verbannung.
Die Hexenprozesse verliefen nach einem stereotypen Muster: Die meisten Opfer gerieten durch Denunziation oder durch „Besagung“ in die Mühlen der Justiz. In den häufig von Nachbarn oder Familienangehörigen vorgebrachten Anzeigen spiegelten sich individuelle und lokale Konflikte, zugleich zeugen die Denunziationen von einer tiefen Verwurzelung des Hexenglaubens in der Lebenswelt aller sozialer Schichten. Die Denunziation führte zur Gefangennahme, wenn zusätzliche Indizien den Verdacht auf Zauberei erhärteten. Der Verhaftung folgte gewöhnlich die Wasserprobe: Mit gefesselten Händen und Füssen warf der Scharfrichter die Angeklagten auf das Wasser,„flossen“ die Beschuldigten „wie eine Gans“, galten sie als schuldig, gingen sie unter als unschuldig. Wie Hinrichtungen wurden diese Wasserproben als öffentliche Spektakel inszeniert. Da jedoch niemand ohne Geständnis verurteilt werden durfte, schritt die Obrigkeit anschließend zur Folter, die nach einem Regelwerk ablief. Sie brachte unvorstellbare körperliche Qualen mit sich. Spätestens beim „Aufziehen“, oft schon beim Zeigen der Folterwerkzeuge schwand der Widerstand der Angeklagten dahin und sie bekundeten in immer gleichen Geschichten, wie sie Hexentanzplätze aufgesucht, eine Buhlschaft mit dem Teufel eingegangen und ihren Schadenszauber angebracht hatten. Die protokollierten stereotypen, gleichwohl detailreichen Beschreibungen zeigen, wie tief sich die Hexenmuster der gelehrten Literatur im mentalen Haushalt der gesamten Bevölkerung eingeschrieben hatten. Als Medium dieses Formierungsprozesses fungierte dabei die Geistlichkeit, die von den Kanzeln offensiv zum Kampf gegen die Hexerei aufrief.
Nicht alle Verurteilungen endeten mit einer Hinrichtung durch den Strang und anschließender Verbrennung „zu Pulver“ wie bei Anna Schornfeld im Jahre 1650. Auspeitschung, Pranger und Verbannung waren, wie bei ihrer Tochter Trine Plumpe, weitere vorgesehene Bestrafungspraxen: Doch sie bedeuteten den sozialen Tod.
In den Jahren um 1580 sind für den Ruhr-Lippe-Raum Pestwellen bezeugt. Es gibt Hinweise auf große Getreideknappheit. Für die frühneuzeitliche Gesellschaft bildeten diese Unglücke typische Anlässe für die Suche nach „Urhebern“ und für Forderungen nach Bestrafung. Die Obrigkeit im Vest suchte angesichts zunehmender Zaubereianschuldigungen den Austausch mit dem Rat der Stadt Essen in Verfahrensfragen.
Ab 1588 ist eine große Prozesswelle belegt. Das Vest Recklinghausen gehörte zum kurkölnischen Territorienverband und litt unter dem niederländisch-spanischen sowie unter dem Kölnischen Krieg. Recht deutlich lässt sich nachvollziehen, dass der in Dorsten amtierende Stadtrichter Vinzenz Rensing sich in dieser Zeit als entschiedener Parteigänger des kölnischen Kurfürsten gegen reformatorische Einflüsse zu empfehlen versuchte. Es liegt zumindest sehr nahe, dass seiner harten politischen Hand nicht nur Überzeugungsmotive, sondern auch nicht ganz uneigennützige Gesichtspunke zugrunde lagen. Die Abhaltung von Hexenprozessen bot dem noch relativ jungen, 33-jährigen Richter eine besondere Chance: In einer Zeit, in der sich politische Loyalität über konfessionelle Parteinahme äußerte, reagierte er mit äußerster Härte auf eine vermeintliche Infragestellung der öffentlichen Ordnung durch gottlose Zauberer und Hexen. Er setzte die Verfahren in Gang und leitete sie an, er entschied, um welchen Preis weitere Ausforschungen betrieben werden sollten. So bestimmte er definitiv mit, wie weit die Prozesse um sich griffen. Durch die öffentliche Vernichtung von vermeintlichen Störelementen in seinem Herrschaftsbereich disziplinierte er die regionalen Obrigkeiten und die Bevölkerung insgesamt und versuchte, landesherrliche Macht durch seinen Einfluss auf städtische Gerichtsbarkeiten auszudehnen. Er arbeitete über die Hexenprozesse auf seinen späteren Aufstieg zum ersten nichtadeligen Statthalter des Vests hin.
Nach diesen beiden Prozesswellen des späten 16. Jahrhunderts lassen sich nur noch einzelne Prozesse, wie der gegen Anna Schorfeld, nachweisen. Zwar forderte die Bevölkerung immer wieder vehement die Verfolgung von Zauberern und Hexen, doch die obrigkeitliche Bereitschaft, ihnen nachzugehen, war zur Zeit des Kurfürsten Ferdinand von Wittelsbach und seinem Nachfolger eher schwach, obwohl im rheinischen Kurfürstentum Köln gerade im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts die größte Prozesswelle mit etwa 1.000 Toten belegt ist. Dies macht deutlich, dass die Hexenverfolgungen in einer komplizierten Gemengelage von territorialen und lokalen Interessen abliefen. Hohe Landes- wie kleinere adelige oder bürgerliche Obrigkeiten entwickelten Strategien der Justiznutzung, um eigene politischen Interessen durchzusetzen. Auch die lokalen Kräfte waren nicht homogen, der Verfolgungswille von unten musste mit einer Verfolgungsbereitschaft von oben zusammentreffen.„Hexenverfolgungen“ erfordern deshalb eine mikrohistorische Analyse als Konfliktfeld innerhalb lokaler Machtgefüge und Netzwerke.
Uta C. Schmidt / FRAUEN.ruhr.GESCHICHTE.
Orte:Einkerkerung im „Quadenturm“, an der Stelle des heutigen Feuerwehrdepots
und im „Bischoff“, Ecke Schaumburgerstraße/ Kaiserwall
Wasserprobe auf dem Bredendyck zwischen dem Loh- und Martinitor
Gersmann, Gudrun,„Toverie halber …“. Zur Geschichte der Hexenverfolgungen im Vest Recklinghausen. Ein Überblick, in: Vestische Zeitschrift 92/93 (1993/94), S. 7-43.
Gersmann, Gudrun, Auf den Spuren der Opfer – Zur Rekonstruktion weiblichen Alltags unter dem Eindruck frühneuzeitlicher Hexenverfolgung, in: Lundt, Bea (Hg.). Vergessene Frauen an der Ruhr. Von Herrscherinnen und Hörigen, Hausfrauen und Hexen, Köln/ Weimar/ Wien 1992, S. 243-272.
Fuchs, Ralf-Peter, Hexenverfolgungen an Ruhr und Lippe. Die Nutzung der Justiz durch Herren und Untertanen, Münster 2004.
Labouvie, Eva, Zauberei und Hexenwerk. Ländlicher Hexenglaube in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1991.
http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/
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