Während der antinapoleonischen Befreiungskriege in den Jahren 1813 bis 1815 organisierten sich Frauen erstmals in patriotischen Vereinen, um „im Kampf für Deutschlands Ehre“ nicht nur „müßige Zuschauerinnen [zu] sein und [zu] bleiben“, sondern das ihnen Mögliche und Erlaubte zu diesen Kriegen beizutragen. Diese mehrere hundert „patriotischen Frauenvereine“ waren demokratisch organisiert, bestanden dem Anspruch nach aus Frauen aller Schichten und Konfessionen und arbeiteten überregional eng zusammen. Sie nutzen die mediale Öffentlichkeit und ihre gesellschaftlichen Kontakte, um Geld und Material zu sammeln, sie stickten Fahnen, stellten Verbandsmaterial her, gründeten und finanzierten Lazarette, arbeiteten als Krankenpflegerinnen, Verwalterinnen und Köchinnen, kümmerten sich um die Familien der Soldaten, unterstützten nach dem Kriege die Invaliden und die Witwen und Waisen der Gefallenen. Auch in Hamm fanden sich 19 Frauen der gehobenen Gesellschaft zusammen. Motor der Vereinsaktivitäten war Friederike von Bodelschwingh.
Die meisten Vereinsfrauen in Hamm waren mit höheren Beamten verheiratet. Bemerkenswert ist, dass mit Henriette Marcks eine Frau jüdischer Konfession zum Verein gehörte. Ihr Ehemann, der vermögende Elias Marcks, besaß schon seit geraumer Zeit Sonderrechte, die die Familie mit christlichen gleichstellte. Dass Friederike von Bodelschwingh und Wilhelmine von Rappard zu Vorsteherinnen des Vereins erklärt wurden, reflektiert den Führungsanspruch des Adels in einer Gesellschaft, in der sich gerade die ständischen Normen auflösten. Sie boten sich aber auch für den Posten durch ihre Netzwerke und persönlichen Kompetenzen an: Wilhelmine von Rappard verfügte als Gattin des Tribunalrichters über einflussreiche Kontakte, Friederike von Bodelschwingh besaß jahrelange Erfahrung in der Verwaltung von Kapital und Vermögen – und nicht zuletzt eine ausgeprägte Durchsetzungsfähigkeit.
Am 24. Dezember 1813 veröffentlichte Der Frauenverein zur Beförderung des Wohls Vaterländischer Krieger einen Aufruf an die Frauen und Jungfrauen des jetzigen Ruhr-Departements mit dem Ziel, seine personelle Basis auszudehnen und ihre Verbundenheit mit der Sache zum Ausdruck zu bringen:„Muthiger gehen unsere Männer, Söhne und Brüder den Gefahren des Krieges entgegen, wenn sie es wissen, dass Mütter, Schwestern und Verwandte in der Heimath sich für sie beschäftigen, und schon im voraus daran arbeiten, ihnen die Schmerzen, die etwa Krankheit oder Wunden verursachen können, zu erleichtern.“ Der Aufruf blieb nicht ohne Resonanz. In Hamm trafen sich mehr als hundert Frauen von 16 bis 60 Jahren einmal wöchentlich, um für die Verwundeten zu arbeiten. Gesammelte Hilfsgüter wurden nebst Namen der Spender und Spenderinnen minutiös aufgelistet und veröffentlicht. Transparenz war entscheidend: um die ordnungsgemäße Abwicklung zu dokumentieren, die eigene Kompetenz zu beweisen und um für die eigene Vereinsarbeit zu werben. Alle Rechnungen über die Ausgaben „können aber täglich bei der Freifrau von Bodelschwingh in Ansehung der Gelder, und bei der Präsidentin von Rappard in Ansehung der übrigen Beiträge eingesehen werden, worin man nicht nur, wie wir uns schmeicheln dürfen, die größte Ordnung und Pünktlichkeit, sondern auch die gewissenhafteste Verwendung aller, selbst der kleinsten uns anvertrauten Gaben finden wird,“ verlautbarte der Frauenverein.
Die Frauen des Hammschen Vereins, die inzwischen unter dem Titel Frauenverein in Westfalen firmierten, konnten im dritten Jahr des Bestehens eine beeindruckende Bilanz ziehen. Sie leiteten daraus einen Anspruch auf Zentralität ab, der keineswegs von anderen Vereinen anerkannt wurde. Mit Statuten des Frauen-Vereins in Westfalen vom 19. Januar 1915, die dem Zivilgouverneur von Vincke in Münster und über die Prinzessin Marianne von Preußen auch dem preußischen König zukamen, suchte der Vorstand des Vereins seine Zentralstellung in Westfalen amtlich absichern zu lassen. Marianne von Preußen sagte als Schirmherrin zu. Nach anfänglicher Ablehnung und einer umfangreichen Korrespondenz, gab von Vincke schließlich nach – vielleicht weil seine Frau Eleonore, geborene von Sieberg zum Busch, als Mitglied des Hagener Frauenvereins positiven Einfluss ausübte. Schließlich empfahl von Vincke der Schirmherrin Marianne von Preußen,„die Benennung Frauenverein in Westfalen“ beizubehalten. Der Frauenverein machte seine Sache gut, denn als Vincke am 31. März 1815 die Westfalen erneut zum Kampf gegen Napoleon aufrief, forderte er ausdrücklich „die Verbindung der Frauen-Vereine“ der ganzen Provinz.
Auch nach den Befreiungskriegen traten die Frauen des Frauenvereins Hamm immer wieder in sozial schwierigen Zeiten an die Öffentlichkeit. Noch 1842 hatte der Verein Bestand und vier Frauen, die zur Gründungsgeneration gehört hatten, erinnerten nicht ganz ohne Stolz an die Ursprünge ihrer Vereinsaktivitäten in den nationalen Aufbrüchen der Befreiungskriege.
Der Geschichtsschreiber der Stadt Hamm, Moritz Esselen, weiß noch 1851 von der Existenz des Vereines zu berichten, der seine Aufgaben nun in der sozialen Betreuung von ehemaligen Soldaten, Witwen und Waisen sah.
Die gesellschaftliche Ausnahmesituation des Krieges erlaubte es den Frauen in Hamm, sich in Vereinen zu organisieren und Teil der bürgerlichen Öffentlichkeit zu werden. In der westfälischen Region des heutigen Ruhrgebiets sind Vereine in Ahlen, Bochum, Bockum, Boehle, Bommern, Bottrop, Breckefeld, Elsey, Dortmund, Ennepe, Essen, Hagen, Hamm, Heeren, Herne, Hoerde, Kamen, Kettwig, Ruhrtal, Schwerte, Sprockhövel, Unna, Voerde, Volmarstein, Wattenscheid, Wengern, Werden, Werne, Wetter, Witten belegt.
Ihre sozialkaritative Vereinsarbeit verblieb allerdings in den gesellschaftlichen Rahmen der Geschlechterordnung. Ihre mütterliche Fürsorge richtete sich häufig ganz konkret auf die eigenen Männer, Brüder, Söhne, gerade so, wie es auch der überkommenen Rolle in der Familie entsprach. Sie schrieben dieses Geschlechtermodell gewissermaßen in die nationale Frage ein. Gleichzeitig traten sie aus dem „stillen weiblichen Wirkungskreis“ heraus und organisierten selbstbewusst Veranstaltungen, korrespondierten mit Amtsträgern, sorgten für mediale Aufmerksamkeit, entwickelten Satzungen und Geschäftsordnungen, richteten die Vereine an demokratischen, transparenten und betriebswirtschaftlichen Zielen aus, begründeten eine eigene Vereinskultur, überwachten die Transporte der Spenden. Nach Kriegsende und mit Beginn der Konsolidierung des Staates schlossen sich diese Handlungsspielräume. Die „Mütter der Nation“ wurden in die biedermeierliche Binnenwelt des Hauses gewiesen. Der Versuch der Frauen, die Vereine auf Dauer zu stellen, und sich in der Armenfürsorge zu etablieren, war unterschiedlich erfolgreich und nicht unumstritten. Auf jeden Fall fiel die hohe Medienpräsenz und gesellschaftliche Anerkennung fort, sobald das Engagement nicht mehr dem Krieg, dem König, dem Vaterland galt.
Maria Perrefort/ Gustav-Lübke-Museum Hamm
Orte:Treffen des Hammer Frauenvereins im Ressourcengebäude, Nordenwall 10, 59065 Hamm
Perrefort, Maria,„Vereinigen Sie sich, teutsche Schwestern zu einem frommen Bunde …“. Der Hammer Frauenverein in der Zeit der Befreiungskriege, in: Kreis Unna (Hg.), Jahrbuch des Kreises Unna 2010: Kulturgeschichten, Unna 2009, S. 143-157.
Reder, Dirk Alexander, Frauenbewegung und Nation.Pariotische Frauenvereine in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert (1813-1830), Köln 1998.
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