Am 1. Mai 1979 stand die Betriebsrätin Grete Prill mit Kolleginnen, die bei der Firma Foto-Gruppe Heinze in Gelsenkirchen arbeiteten, unter dem Transparent mit der Aufschrift FRAUEN – MÄNNER / GLEICHE ARBEIT – GLEICHER LOHN. Es sollte sie fast drei Jahre lang begleiten.
Ende 1978 hatten sich 29 Frauen entschieden, gemeinsam gegen ihren Arbeitgeber zu klagen, nachdem sie zufällig herausgefunden hatten, dass der bei identischer Arbeit zwar allen den gleichen Tariflohn, den Männern aber durchweg außertarifliche Zulagen von ca. 1,50 DM (Deutsche Mark) zahlte, während viele Frauen keine oder deutlich geringere erhielten. Ihr Entschluss zur Klage wurde unterstützt vom Betriebsrat und der Gewerkschaft Druck und Papier, die seit 1974 bundesweit in den Betrieben eine „Aktion gerechte Eingruppierung“ angestoßen hatte.
Offene Abwertung und entsprechend mindere Entlohnung von Frauenarbeit gegenüber Männerarbeit war seit 1949 mit dem Art. 3 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Die verdeckte Lohndiskriminierung blieb aber dadurch erhalten, dass in der tariflichen Bewertung seit den 50er Jahren Leichtlohngruppen eingeführt wurden, in denen sich die Frauen mit geringeren Stundenlöhnen wiederfanden. Der Protest hiergegen, der seither nie abgerissen war, gewann an Kraft, als im Betriebsverfassungsgesetz 1972 im § 75 das Gebot der Gleichbehandlung verankert wurde und als die Frauenbewegung Anfang der 70er Jahre auch in den Gewerkschaften mit dem „Jahr der Arbeitnehmerin“ (1972) und dem „Internationalen Jahr der Frau“ (1975) wuchs. Die Bundestagspräsidentin Annemarie Renger rief in dieser Zeit nach einer Frau, die den Gang vor Gericht wagte.
Ein solcher Schritt einer Einzelperson erschien den Frauen zu riskant. Als Betriebsrätin trug Grete Prill dazu bei, dass in Gelsenkirchen eine Gruppenklage zustande kam, in der die 29 Frauen eine dreimonatige Nachzahlung von außertariflichen Zulagen in gleicher Höhe wie die der Kollegen für sich forderten. Der Streitwert lag um 20.000 DM. Auf dem langen Weg vom Prozess beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen im Mai 1979 über den Termin beim Landesarbeitsgericht in Hamm im September 1979 bis zur Entscheidung vor dem Bundesarbeitsgericht in Kassel im September 1981 war Grete Prills Einsatz von besonderer Bedeutung.
Die Frauen sahen es von Anfang an als notwendig an, mithilfe ihrer Gewerkschaft in der Öffentlichkeit Unterstützung für ihr Anliegen zu finden. Das geschah zunächst im kommunalen Rahmen in Gelsenkirchen. Dort wurden sie von über 200 Personen demonstrativ zum Arbeitsgericht begleitet. Als der Arbeitgeber dort zur Nachzahlung verurteilt wurde, war der Jubel unbeschreiblich. Die Firma ging jedoch in Berufung zum Landesarbeitsgericht Hamm. Das Verfahren wurde nun überregional in Gewerkschaften, Parteien und in Frauengruppen durch Unterschriftenlisten bekannt gemacht, die zur Solidarität aufriefen. Nach Hamm wurden die „Heinze-Frauen“, wie sie inzwischen genannt wurden, schon von mehreren hundert Personen begleitet. Dort wurde gegen sie entschieden.
Trotz dieser Niederlage beschlossen sie, nicht aufzugeben und in die Revision zum Bundesarbeitsgericht in Kassel zu gehen, denn sie trauten sich zu, das absehbar lange Verfahren durchzustehen. Unterstützt wurden sie dabei durch Seminare der AG „Arbeit und Leben (DGB/VHS)“ Gelsenkirchen, bei denen sie sich austauschen und Mut machen konnten. Grete Prill war dabei eine wichtige Gesprächspartnerin. Ausgehend von den Tonbandmitschnitten dieser Gespräche entstand 1980 eine Dokumentation über den Prozess. Die wiederum regte die Ruhrfestspiele an, die Erfahrungen der Frauen zu einem 1980/81 mehrfach aufgeführten volkstümlichen Theaterstück mit dem Titel „Frauen sind keine Heinzelmänner“ zu verarbeiten. Die Zeitschrift „Brigitte“ ernannte sie 1980 zu den „Frauen des Jahres“. Im Sommer 1981 wurden Grete Prill zusammen mit anderen in einem feierlichem Rahmen von der Gewerkschaft mehr als 45.000 Unterschriften überreicht.
In Kassel organisierte die Gewerkschaft drei Tage vor dem Prozesstermin eine Solidaritätskundgebung, zu der über 6.000 Menschen kamen. Grete Prill und Angela Czybulski berichteten dort von dem Prozess und der erfahrenen Solidarität. Am 9. September 1981 bekamen die „Heinze-Frauen“ ihr Recht zugesprochen. Über dies Ergebnis berichteten alle großen Zeitungen, die Tagesschau und sogar die New York Times.
Danach reichten Grete Prill und weitere zwölf Frauen in Gelsenkirchen eine Folgeklage ein, in der sie die Nachzahlung der außertariflichen Zulage auch für die Jahre 1979-1982 forderten. Die Firma erklärte sich in einem Vergleich bereit, die geforderten rund 100.000 DM zu zahlen. Hierzu kam es aber nicht mehr, weil Foto–Heinze 1983 in Konkurs ging.
Im Rückblick schätzte Grete Prill die Jahre des Kampfes dennoch als Erfolg ein, weil er im Bewusstsein aller Klägerinnen und unzähliger Frauen den Anspruch auf Gleichberechtigung verankert hatte. In anderen Unternehmen, z.B. bei Schickedanz, Langnese, Horten, Karstadt, Adler, Belari und Roth, fühlten sich Frauen danach ermutigt, ebenfalls ihre Rechte auf dem Klageweg einzufordern.
Die große öffentliche Resonanz hat den Prozeß der „Heinze-Frauen“ gegen Lohndiskriminierung zu dem bekanntesten seiner Art gemacht.
Dr. Marianne Kaiser / Gelsenkirchen
Orte
Das Arbeitsgericht im Heinzefrauen-Prozeß 1979 war untergebracht im Hamburg-Mannheimer-Hochhaus in der Ahstraße. Am 8. März 2023 wurde gegenüber des Justizzentrums in Gelsenkirchen der „Platz der Heinze-Frauen“ eingeweiht.
Etablierung der Frauenbildungsarbeit in den achtziger Jahren – am Beispiel Gelsenkirchen, in: Orientieren und Gestalten in einer Welt der Umbrüche. Beiträge zur politischen und sozialen Bildung von Arbeit und Leben Nordrhein-Westfalen, hg. v. Franz-Josef Jelich/ Günter Schneider, Essen 1999, S. 161f.
Druck und Papier. Zentralorgan der Industriegewerkschaft Druck und Papier,Nr.15, Jg. 1981, S. 8.
Grete Prill, ehemalige Betriebsrätin bei Heinze, Gelsenkirchen, in: Zeitgenossinnen. Frauengeschichte(n) aus Nordrhein-Westfalen, hg. v. Ministerium für die Gleichstellung von Frau und Mann des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1996, S. 86-89.
"Wir wollen gleiche Löhne! Dokumente zum Kampf der 29 Heinze-Frauen", hg. v. Marianne Kaiser, Hamburg 1980.
"Wir wollen gleiche Löhne – keiner schiebt uns weg!" Schriftenreihe der IG Druck und Papier, Heft 34, hg. Industriegewerkschaft Druck und Papier. Hauptvorstand, Stuttgart [o.J.], Schallplattenbooklett.
Kaiser, Marianne, Der Kampf der Heinze-Frauen um Lohngleichheit, in: Von Hexen, Engeln und anderen Kämpferinnen. Stadtrundgänge zur Frauengeschichte in Gelsenkirchen, Gelsenkirchen 2001, S. 55-59.
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