Geboren in der westfälischen Landgemeinde Hiddinghausen, heute ein Ortsteil der Stadt Sprockhövel, wuchs Mathilde Franziska Anneke in einem toleranten, aufgeklärten preußisch-westfälischen Elternhaus in Hattingen auf. Ihre erste Ehe scheiterte nach kurzer Zeit. Um den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter zu bestreiten, veröffentlichte sie als Schriftstellerin zunächst religiöse Erbauungsliteratur. Doch persönliche Erfahrungen und die politische wie soziale Situation im deutschen Vormärz ließen sie zunehmend zu einer radikalen Kritikerin der Kirche, der Monarchie und des preußischen Staates werden. Sie schloss sich dem Demokratischen Verein in Münster um Friedrich Hammacher und Fritz Anneke an. In ihrem Salon traf sich regelmäßig ein Kreis politischer Aktivisten und Aktivistinnen, was ihr seitens der Verfolgungsbehörden den Beinamen „Communistenmutter“ einbrachte.
Auf ihre Initiative erschien ab dem 10. September 1848 die für die demokratische Öffentlichkeit bedeutsame Neue Kölnische Zeitung. Gerade von einem Sohn entbunden betreute sie die Zeitung in der Anfangsphase auch redaktionell und verlegerisch, da Fritz Anneke, mit dem sie mittlerweile verheiratet war, von Juli bis Dezember 1848 inhaftiert war. Als mit der Verhängung des Belagerungszustandes über Köln die Neue Kölnische Zeitung verboten wurde, führte Mathilde Franziska Anneke das Blatt unter dem Namen Frauen-Zeitung fort: die dritte Ausgabe wurde bereits vor der Auslieferung verboten. Auch scheint sie die treibende Kraft zur Gründung des Kölner Arbeitervereins gewesen zu sein, einem der Kristallisationspunkte der 1848er Revolution im Rheinland. Als Frau durfte sie ihm jedoch nicht als Mitglied angehören.
Sie folgte ihrem Mann in den badisch-pfälzischen Aufstand, an dem sie sich auch aktiv beteiligte. Die Niederwerfung des Aufstandes durch preußische Truppen machte eine Rückkehr nach Köln unmöglich. Die Annekes konnten nach Straßburg fliehen. Über die Schweiz emigrierten sie in die USA und ließen sich in Wisconsin nieder, dem Staat, in dem die meisten deutschen Auswanderer lebten und auch die sogenannten „Forty-eighters“ ein Netzwerk bildeten. Sie hielt Vorträge über die Ereignisse der 1848er Revolution und nahm bald Kontakt zur amerikanischen Frauenbewegung auf. Bereits im März 1852 erschien die erste Ausgabe der von ihr gegründeten Deutschen Frauen-Zeitung. Dies ist die erste feministische Zeitung, die von einer Frau in eigener Regie auf amerikanischen Boden publiziert und vertrieben wurde. 1869 wurde sie Vizepräsidentin der National Women`s Suffrage Association. Im Juni 1880 nahm sie noch am großen Kongress dieser Frauen-Wahlrechts-Bewegung teil.
Der Start in den USA verlief für die politischen Emigranten zunächst vielversprechend: Fünf Kinder wurden geboren, zwei starben früh. Im Frühjahr 1858 raffte eine Pockenepidemie zwei weitere Kinder hinweg, ein Schicksalsschlag, von dem sich Mathilde Franziska Anneke nicht wieder erholen konnte. Auch die Ehe litt unter diesem Schmerz, zumal sich ein familiäres Leben durch die Persönlichkeitsstruktur Fritz Annekes insgesamt schwierig gestaltete. Mathilde Franziska Anneke hielt die Familie mit politischem Journalismus mehr recht als schlecht über Wasser. Noch einmal kehrte sie mit ihrem Mann und den Kindern in die Alte Welt zurück, entschied sich dann jedoch für eine endgültige Rückkehr in die USA – Allein zum besten der Kinder, die nicht wie die Mutter den Fluch der Heimatlosigkeit tragen sollen…
Mit der Pädagogin Cäcilie Knapp gründete Mathilde Franziska Anneke in Milwaukee eine deutsche Mädchenschule im erfahrungsgesättigten Bewusstsein darum, dass Frauen als Persönlichkeit gestärkt und für eine Berufsausübung ausgebildet werden müssen. Ihre existentiellen Sorgen blieben weiterhin bestehen. Erst im letzten Lebensjahrzehnt sicherte der mittlerweile erstklassige Ruf der Schule auch finanziell ihr Auskommen. Selbst aus entlegenen Gegenden der USA wurden Mädchen in ihre Schule geschickt.
1872 verunglückte Fritz Anneke in Chicago tödlich. Obwohl sich das Ehepaar getrennt hatte, war der Kontakt stets aufrechterhalten worden. 1876 verlor Mathilde Franziska Anneke durch eine Blutvergiftung den Gebrauch ihrer rechten Hand, die Tochter Herta wurde nun zu ihrer unentbehrlichen Hilfe. 1877 starb Mathildes älteste Tochter Fanny 40jährig an Brustkrebs. Alleinerziehend hinterließ sie vier kleine Kinder. Am 25. November 1884 starb auch Mathilde Franziska Anneke.
Eine große Zahl an Nachrufen in der deutsch- und englischsprachigen Presse bezeugen die Wertschätzung, die sie erfuhr. Die amerikanische Frauenbewegung zählt Anneke zu ihren frühesten und aktivsten Kämpferinnen.„Ich glaube, ich habe auf dieser Erde schon viele Leben ausgelebt“, schrieb sie einmal: Tochter aus gutem Hause, hungernde Poetin, revolutionäre Journalistin, politisch verfolgte Asylantin, eine Ehefrau, die einem unsteten Mann folgte und an ihm litt, eine Mutter, die sieben Kinder gebar und fünf von ihnen begraben musste, Pädagogin, frühe Feministin und Sozialistin, Pionierin der deutschen und amerikanischen Frauenbewegung. Annekes Freundin, Cäcilie Knapp, fasste dies in einem Geburtstagsbrief so zusammen:„ … alle Leiden und Freuden eines Frauenlebens – alle Begeisterung, allen seligen Taumel und Jubel eines Freiheitshelden – die gewöhnliche Neigung von Sterblichen und höchst ungewöhnliche – Alles, alles hast Du genossen.“
Karin Hockamp / Stadtarchiv Sprockhövel
Orte:Geburtshaus Annekes, Wittener Straße 245, 45549 Sprockhövel
Wohnhaus Annekes von 1821-1836, Blankenstein, Burgwall 12, 45527 Hattingen
Hockamp, Karin, Von vielem Geist und großer Herzensgüte. Mathilde Franziska Anneke (1817-1884), hg. v. d. Volkshochschule Hattingen und dem Stadtarchiv Sprockhövel, Hattingen 1999.
Schnelling-Reinicke, Ingeborg, Mathilde Franziska Anneke (1817-1884), in: Dascher, Ottfried/ Kleinertz, Everhard (Hg.), Petitionen und Barrikaden. Rheinische Revolutionen 1848/49, Münster 1998, S. 299-302.
Schnelling- Reinicke, Ingeborg, Frauen in der Revolution – Revolution der Frauen –, in: Dascher, Ottfried/ Kleinertz, Everhard (Hg.), Petitionen und Barrikaden. Rheinische Revolutionen 1848/49, Münster 1998, S.296-299.
Wagner, Maria, Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten, Frankfurt 1980.
Ruben, Regina, Mathilde Franziska Anneke, die erste große Verfechterin des Frauenstimmrechts, Hamburg [ca. 1905].
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